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Meinung IV: Bildungsteilzeit – Ein Vorschlag zur Diskussion

Bis zu drei Jahre Teilzeit arbeiten und parallel dazu digitale Kompetenzen entwickeln: Alexander Fischer, Staatssekretär für Arbeit und Soziales, plädiert für einen gesetzlichen Anspruch auf bezahlte Bildungszeit. Pate stehen könnte das Modell der früheren Altersteilzeit.

Der Chef der österreichischen Arbeiterkammer, Rudolf Kaske hat in unserem Nachbarland eine Debatte darüber angestoßen, wie dem wachsenden Weiterbildungsdruck auf Arbeitnehmer/innen im Laufe eines Erwerbslebens begegnet werden kann. Die Arbeitskammer möchte ein Qualifizierungsgeld einführen, auf das alle Menschen Anspruch haben, die mindestens fünf Jahre gearbeitet haben.

Jede/r Beschäftigte soll demnach einen gesetzlichen Anspruch darauf haben, zweimal im Lauf des Erwerbslebens eine bis zu drei Jahre lange Auszeit vom Job für eine Weiterbildung zu nehmen. Während dieser Zeit sollen ca. 900 Euro pro Monat vom Staat als Qualifizierungsgeld gezahlt werden. Der Vorschlag korrespondiert mit Überlegungen für die Einführung eines Arbeitslosengelds Q, die der SPD-Vorsitzende Martin Schulz in den Bundestagswahlkampf eingeführt hat. Erwerbslose, die sich weiterbilden, sollen demnach Anspruch auf bis zu 48 Monate Arbeitslosengeld I haben.

Die Frage, wie der Staat auf den wachsenden Veränderungs- und Flexibilitätsdruck reagiert, der auf Arbeitnehmer/innen im Zeitalter der Digitalisierung lastet, gehört zweifellos zu den Zukunftsfragen der sozialen Sicherung. Wenn es stimmt, dass viele Berufe, in denen wir in 20 Jahren arbeiten werden, heute noch gar nicht existieren, und dass sich praktisch alle Berufe deutlich verändern werden, dann stellt sich die Frage danach, wann und wie diese Berufe und die neuen Fertigkeiten erlernt werden, an alle, mindestens an alle, die heute unter 50 sind. Es ist also höchste Zeit, eine Debatte darüber zu beginnen, wie progressive Sozial- und Bildungspolitik im Zeitalter der Digitalisierung zu gangbaren Konzepten verzahnt werden kann.

Ausgangspunkt dafür muss das bestehende System der sozialen Sicherung und dessen organische Weiterentwicklung auf einem progressiven Pfad sein. Wie können wir also die Idee der Schaffung von Freiräumen für Fort- und Weiterbildung in das bestehende System der sozialen Sicherung in Deutschland integrieren?

Ein sinnvoller Weg wäre aus meiner Sicht das Wiederaufgreifen eines bewährten Konzepts: der Altersteilzeit. Beschäftigte konnten ab dem 55. Lebensjahr ihre Arbeitszeit bei 70 Prozent ihrer bisherigen Nettobezüge halbieren. Der Arbeitgeber zahlte 50 Prozent des bisherigen Bruttoentgelts, der Restbetrag wurde von der Bundesanstalt für Arbeit beigetragen, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass durch den Altersteilzeiter frei werdende Arbeitsstelle durch einen Arbeitslosen oder Berufsanfänger besetzt wurde.

Außerdem hat die Bundesanstalt für Arbeit den Rentenbeitrag des Altersteilzeiters auf 90 Prozent des Vollzeitentgelts aufgestockt. Die tarifvertragliche Ausgestaltung der Alterszeit war freigestellt. Die Tarifparteien machten von dieser Möglichkeit auch rege Gebrauch und vereinbarten die Aufstockung des Nettoentgelts über 70 Prozent hinaus und die Möglichkeit, die Altersteilzeit im Block zu nehmen.

Interessanterweise haben die Tarifparteien dieses Instrument bereits unter neuen Vorzeichen – und ohne die Unterstützung des Staates – weiterentwickelt, als Bildungsteilzeit, wie sie die IG Metall 2015 in der Metall- und Elektroindustrie vereinbarte. Auch bei der Altersteilzeit preschten in den 90er Jahren die Tarifparteien vor, und der Staat zog mit einer gesetzlichen Regelung nach. So könnte es auch diesmal kommen.

Denkbar wäre meines Erachtens die Einführung eines gesetzlichen Anspruchs auf eine Bildungsteilzeit für jede/n Arbeitnehmer/in. Konkret hieße das: jede/r Arbeitnehmer/in erhält nach Erfüllung einer Anwartschaftszeit (fünf Jahre Beitragszahlung wären hier eine mögliche Richtgröße) die Möglichkeit, für bis zu drei Jahre Bildungsteilzeit zu beantragen. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Arbeitszeit um 50 Prozent reduziert wird. Der Arbeitgeber zahlt entsprechend 50 Prozent des Bruttoentgelts. Die Bundesagentur für Arbeit gleicht den Einkommensverlust zu 60 bzw. 67 Prozent aus. Damit würde insgesamt ein Niveau von 80 bzw, 83,5 Prozent der früheren Nettoeinkünfte erreicht.

Die Bildungsteilzeit müsste selbstverständlich für eine Ausgestaltung durch tarifvertragliche Regelungen offen sein, die bspw. die Aufstockung der Einkünfte durch den Arbeitgeber über dieses Niveau hinaus ermöglichen. Dadurch ließe sich auch ermöglichen, dass die Bildungsteilzeit optional wie bei der Altersteilzeit in einem Blockmodell genommen wird, d.h. dass für einen bestimmten Zeitraum eine vollständige Freistellung für eine Weiterbildung erfolgen könnte.

Ebenso selbstverständlich müsste es möglich sein, nach der Erfüllung der Voraussetzungen, mehrmals in einem Erwerbsleben Bildungsteilzeit zu nehmen. Eine Finanzierung der Ausgaben über die Beitragsmittel der Bundesagentur für Arbeit ist tragbar, vor dem Hintergrund arbeitsmarktpolitischer Ziele gut begründbar und systematisch möglich.

Über diesen Vorschlag kann man im Prinzip und im Detail diskutieren. In Österreich, wo es bereits seit 2013 ein ähnliches Instrument gibt, wird über Für und Wider rege gestritten. An der Debatte darüber, wie soziale Sicherung auf die Herausforderungen der Digitalisierung reagiert, führt auch hierzulande kein Weg vorbei.

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