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Smart City-Strategie Berlin

Das Land Berlin entwickelt eine neue Smart City Strategie - und die ganze Stadtgesellschaft schreibt mit!

Kapitel 4: Governance

Einleitung

Entscheidungsstrukturen für städtische Handlungsfähigkeit

Globale Herausforderungen wie die Klimakrise oder Pandemien erfordern zunehmend schnelles Handeln auf lokaler Ebene, digital und analog. Klassische, bürokratische Hierarchien können oft nur langsam auf radikale Veränderungen reagieren und erweisen sich im Kontext der Digitalisierung oftmals als zu träge und nicht ausreichend wirkungsvoll. Um die digitale Transformation aktiv zu gestalten und für die Entwicklung einer zukunftsfähigen Stadt zu nutzen, braucht es ein Zusammenwirken und eine Verantwortungsübernahme unterschiedlicher Akteur:innen. Dadurch können Lösungen an den Bedarfen der Stadtgesellschaft ausgerichtet und gemeinsam mit den Kapazitäten der vielfältigen Akteur:innen der Stadt gestaltet werden. Gleichwohl braucht es klar definierte Verantwortlichkeiten und Prozessschritte, um die digitale Transformation und smarte Stadtentwicklung strategisch und transparent steuern zu können. Wie ein flexibles und schnelles Zusammenwirken für eine handlungsfähige Stadt funktionieren kann, wird durch Governance-Strukturen unterstützt, die für anfallende Entscheidungen im Bereich Smart City und digitale Transformation etabliert werden sollen.

Modell für Governance und Prozess

Die Strategie “Gemeinsam Digital: Berlin” bietet nicht nur eine Vision, einen Wertekompass und Ziele für eine smarte Stadt. Sie schlägt auch ein Entscheidungs- und Prozessmodell für die Umsetzung vor und unterscheidet sich damit von vielen Strategiedokumenten und Konzeptpapieren. Hierzu gehören zwei zentrale Punkte: 

  • Ein Governancemodell, das die Rollen, Kompetenzen und Aufgaben der beteiligten Akteure beschreibt. Anhand dieser Struktur soll der Gesamtprozess, unter Einbeziehung verschiedener Perspektiven (Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft, Bürger:innen, Zivilgesellschaft) koordiniert und gesteuert werden. Daraus ergibt sich auch, wie Zielkonflikte gelöst, Maßnahmen priorisiert und ausgewählt und schließlich evaluiert werden.
  • Ein Prozessmodell, welches ermöglicht, dass Maßnahmen im Sinne der Strategie nach einheitlichen Prinzipien umgesetzt werden. Dazu gehört ein Prozess vor Projektbeginn, welcher die Problemstellung unter Einbindung mehrerer Akteure analysiert, Synergien klar identifiziert und unter Einbindung der relevanten internen und externen Stakeholder am Ende zu Anforderungen und einem Projektplan für die Lösung kommt, der dann durch politische Gremien mandatiert wird, die Umsetzer und das Budget festschreibt.  (siehe Kapitel 5)

Auf verschiedenen Ebenen entsteht so ein Modell, welches die Umsetzung der Strategie “Gemeinsam Digital: Berlin” in Zyklen denkt: Die Strategie wird anhand der Lebensrealitäten, Bedarfe und gesammelten Erfahrungen evaluiert und neu gedacht. Maßnahmen werden prototypisch entwickelt und erprobt. Durch dieses Vorgehen wird ein Lernzyklus angestoßen, welcher dem Land Berlin hilft, gemeinsam mit der Stadtgesellschaft Digitalisierung voranzubringen. 

Die Anwendung dieses Modells hat nicht zuletzt zum Ziel, einen Kulturwandel sowie ein neues Führungsverständnis in der Berliner Verwaltung anzustoßen und soll die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit weiteren Akteuren der Stadtgesellschaft fördern.

Anforderungen an das Governance-Modell

Mit Beschluss der Strategie stehen die Berliner Politik und Verwaltung als Verantwortliche für deren Umsetzung im Zentrum der Governance und haben eine steuernde und koordinierende Funktion. Neben Politik und Verwaltung sind jedoch viele weitere Akteure an der Transformation Berlins interessiert, möchten an der Zukunftsgestaltung mitwirken und sind für die Umsetzung der Strategie von großer Bedeutung. Die Strategie “Gemeinsam Digital: Berlin” etabliert daher eine Netzwerk-Governance, welche die Potenziale der Stadt nutzt und unterschiedliche Akteursgruppen einbezieht. Die Stadtgesellschaft (1) berät und begleitet die Umsetzung der Strategie und die damit verbundenen Lernprozesse. Ähnlich wie bei der Entwicklung der Strategie sollen die nächsten Phasen mit und für Berlin gestaltet werden.

Das Governance-Modell gewährleistet, dass:

  • auf verschiedenen Handlungsebenen klare Rollen, Zuständigkeiten und Schnittstellen definiert werden,
  • unterschiedliche Perspektiven und Zielgruppen einbezogen und damit eine bedarfsgerechte Entwicklung von Maßnahmen sowie langfristige Mitbestimmung ermöglicht wird,
  • Rahmenbedingungen entstehen, welche die Gründung von Bottom-Up-Initiativen aus der Stadtgesellschaft unterstützen und deren Integration in die Gesamtstrategie sicherstellen,
  • einzelne Maßnahmen dabei unterstützt werden, ein einheitliches Vorgehensmodell zu etablieren, das Transparenz gewährleistet, Vergleichbarkeit erleichtert und ein gemeinsames Lernen ermöglicht, 
  • ein schnelles Erproben vielversprechender Ansätze in der Praxis gefördert und dazu bürokratische Hürden reduziert werden,
  • Strukturen zum regelmäßigen Austausch und Reflektion der diversen Akteur:innen geboten werden, um damit den gemeinsamen Wissensaustausch zu stärken und den Ansatz der “lernenden Strategie” zu unterstützen.

____________ 1) Stadtgesellschaft wird definiert nach dem Quintuple Helix-Ansatz: Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Politik & Verwaltung und allen Berliner:innen = alle Bewohner:innen der Stadt gemeint, inklusive einer gezielten Ansprache von sogenannten stillen Gruppen

Anforderungen an das Prozess-Modell

“Gemeinsam Digital: Berlin” ermöglicht einen strukturierten Planungs- und Umsetzungsprozess für Digitalisierungs- und Smart City-Vorhaben. Dafür wurde ein verbindlicher Prozess für die Vorbereitung, Begleitung und Evaluierung/ Bewertung von Maßnahmen entwickelt, die im Rahmen der Strategie umgesetzt werden sollen. Diese Maßnahmen unterscheiden sich von anderen nicht in erster Linie durch den Einsatz von digitaler Technologie, sondern durch ein „smartes“ Vorgehen. 

 

Im Zentrum des Umsetzungsprozesses stehen vier grundlegende Absichten: 

  • Silos aufbrechen und (verwaltungs-)übergreifende Zusammenarbeit kultivieren;
  • voneinander lernen und den Blick weiten, um ein umfängliches Problemverständnis zu gewinnen;
  • gemeinsam gestalten, nutzer:innenzentriert Anforderungen erarbeiten und zur Diskussion stellen
  • auf Basis gemeinsamer Grundlagen (Teil-) Lösungen prototypisch entwickeln, testen, optimieren und verstetigen.

 

Eine weitere wesentliche Grundannahme ist, dass mit einer großen Perspektivenvielfalt durch die Beteiligung der Stadtgesellschaft, also den späteren Nutzer:innen, viele Maßnahmen besser in ihrer gesamten Komplexität greifbar, handhabbar und nutzer:innenzentriert umsetzbar werden. Ein solcher Ansatz setzt in der Vorplanung an und kann bis in die verschiedenen Umsetzungsphasen hinein wirken. 

Aus wechselseitigem Lernen zwischen Maßnahmen und dem Zusammenbringen verschiedener Perspektiven entstehen robustere und nachvollziehbare Entscheidungen mit Anschlussfähigkeit für Entwicklungen in der Zukunft. 

Der Umsetzungsprozess mit seinem Ablauf und seinen Kernqualitäten wurde im Rahmen der Digitalstrategie partizipativ entwickelt, ist lebendig und berücksichtigt die Leitgedanken und die Prinzipien des Strategischen Rahmens der Smart City-Strategie. Dabei ist er strukturell darauf ausgerichtet, durch praktische Erprobung zu reifen und sich direkt aus dem Kreis seiner Anwender:innen weiterzuentwickeln.

Entscheidungsebenen

Auf Grundlage des Prozessmodells müssen an mehreren Punkten Entscheidungen getroffen werden, die darüber bestimmen, ob und wie der Prozess weitergeführt wird. Die Governance von Gemeinsam Digital: Berlin beschreibt daher die Entscheidungsfindung auf verschiedenen Ebenen, zu denen jeweils spezifische Rollen, Kompetenzen und Aufgaben gehören. Diese werden im Folgenden zunächst nur kurz benannt und in der weiteren Ausarbeitung der Strategie ausführlicher beschrieben.

1. Strategische Ebene: Die Zukunft vorausdenken

Auf der strategischen Ebene blicken die Akteure auf den Ist-Zustand und die Zukunft der Stadt und beantworten die Frage: Was sind die aktuellen und zukünftigen Bedarfe? Welche aktuellen Probleme müssen und wollen wir lösen? Welche Lösungsideen gibt es dafür? So wurden aktuell die Zentralen Maßnahmen als notwendigerweise zu priorisierende Maßnahmen identifiziert. Die Governance auf dieser Ebene ermöglicht Steuerung und Koordination, entscheidet über die zu beteiligenden Akteure und Verantwortlichkeiten, entscheidet, wie Vorhaben priorisiert und Zielkonflikte gelöst und welche Ressourcen eingesetzt werden sollen. Die Verantwortung für diesen Prozess liegt beim Chief Digital Officer, der sich dazu mit den politischen Vertreter:innen berät, den Prozess gemeinsam mit den zuständigen Stellen der Verwaltung koordiniert und sich von Expert:innen sowie der Stadtgesellschaft Impulse holt.

2. Maßnahmenebene: Der Lebenszyklus eines Projekts

Auf der Ebene der Maßnahmen bezieht sich die Governance auf ein einzelnes Projekt. Maßnahmen der Strategie können von unterschiedlichen Akteur:innen aus Verwaltung, Stadtgesellschaft oder von Projektkonsortien umgesetzt werden. Im Rahmen jeder Maßnahme muss zu Beginn eine zweckmäßige Governance-Struktur mit klaren Rollen, Zuständigkeiten und Ansprechpersonen definiert werden (hierzu dient der in Kapitel 5 beschriebene Vorprozess). Die Konsortien können bei der Durchführung der Maßnahmen eigenständig agieren (2) und erhalten Unterstützungsangebote, um sich an den im Prozessmodell (siehe nächster Abschnitt) festgelegten Schritten und den Prinzipien für gute Praxis zu orientieren. Bei der Umsetzung von Maßnahmen können die Beteiligten methodische und technische Unterstützung durch ein externes Support-Team in Anspruch nehmen. Über regelmäßige Austauschformate werden die Konsortien miteinander vernetzt und teilen ihre Erfahrungen. ________ 2) Dabei gilt u.a. das Projektmanagementhandbuch des Landes Berlin, welches sich aktuell in der Überarbeitung befindet.

3. Die lernende Strategie: Supervision, Evaluation und Optimierung als Lernzyklus

Die Strategie “Gemeinsam Digital: Berlin” ist selbst als lernende Strategie angelegt, die kontinuierlich weiterentwickelt wird und deren Wirksamkeit in regelmäßigen Abständen überprüft werden muss. Für die Bewertung der Wirkung und des Erfolgs von Maßnahmen, die Entscheidung über eine Verstetigung der Maßnahmen oder auch die Notwendigkeit einer Anpassung der Strategie, wird ebenfalls ein Entscheidungsgremium benötigt. Als Grundlage werden Daten zum Projektfortschritt und projektspezifische Indikatoren erhoben, genauso wie es Indikatoren zur Erhebung des Fortschritts in Bezug zu den Leitgedanken geben wird. Diese helfen, evidenzbasiert aus den Erfahrungen Rückschlüsse zu ziehen und damit den gemeinsamen Lernprozess voranzubringen. Für die Weiterentwicklung der Strategie sollen weiterhin ein Expert:innenkreis, ein Gremium, in dem Bürger:innen (inkl. Stiller Gruppen*) beteiligt werden und die Erkenntnisse aus den partizipativen Formaten innerhalb der Maßnahmen genutzt werden. So können neben der Verwaltung auch andere Akteure der Stadtgesellschaft regelmäßiges Feedback zum Umsetzungsstand der Strategie geben.     

Weiterentwicklung des Governance-Modells aus dem Modellprojekt Smart City Berlin

Im Modellprojekt Smart City Berlin wird seit 2020 ein Governance-Ansatz erprobt, welcher neue Formen der Zusammenarbeit praktiziert. Die entstandenen Grundlagen und Erfahrungen werden mit allen relevanten Akteur:innen weiterentwickelt. Aktuell sind die Rollen folgendermaßen definiert:

  • Die Strategische Steuerung und Koordination erfolgt aus der Senatskanzlei, in Verantwortung des CDO mit Unterstützung der Stabsstelle Gemeinsam Digital. 
  • Ein Strategieboard mit politischen Leitungen auf Senats- und Bezirksebene berät den Prozess aus fachpolitisch-strategischer Perspektive. 
  • Ein ressort- und ebenenübergreifendes Team (RET) gleicht die Entscheidungen mit dem aktuellen Verwaltungshandeln ab und vermittelt zwischen zentraler Steuerung und dezentraler Umsetzung. 
  • Ein Strategiebeirat ist besetzt mit Expert:innen und begleitet den Prozess aus der Perspektive der maßgeblichen vier Stakeholdergruppen (Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Verwaltung). 
  • Ein Gremium aus Bürger:innen, welches die Vielfalt der Berliner:innen abbildet, formuliert Probleme und Bedarfe und bringt Ideen in den Prozess ein.  
  • Ein Forum für Mitarbeiter:innen aller Verwaltungseinheiten, schätzt geplante Maßnahmen hinsichtlich der Machbarkeit ein und fördert die sektorübergreifende Vernetzung innerhalb der Verwaltung.
  • Das CityLAB unterstützt als Relais in die Stadtgesellschaft die Vernetzung zwischen Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Verwaltung und fördert den Kompetenzaufbau.
  • Weitere Akteure innerhalb und außerhalb der Verwaltung (beispielsweise die Smart City Unit der BPWT) stellen sicher, dass Learnings und Ergebnisse aus dem Prozess sowohl in der Stadt als auch darüber hinaus verbreitet werden und Anwendung finden. Zudem unterstützen sie bei der Einbindung weiterer Akteure für partizipative Formate (z.B. Wirtschaft) und bei der Bildung von Partnerschaften mit Blick auf die Umsetzung von Maßnahmen.

Die Erfahrungen aus dem Strategieprozess sollen in die Entwicklung des Governance-Modells einfließen und so eine Grundlage bilden, damit die Strategie “Gemeinsam Digital: Berlin” unter Zusammenarbeit von Berliner Verwaltung und Stadtgesellschaft umgesetzt wird.

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