Kapitel 6: Wirkungsmessung
Einleitung
Um den Erfolg der Strategie “Gemeinsam Digital: Berlin” zu gewährleisten, ist eine Wirkungsmessung sowohl auf Maßnahmenebene, als auch für die gesamte Strategie notwendig. Dieses Kapitel beschreibt einen ersten Entwurf für die wissenschaftlichen Grundlagen und Ansätze für das geplante Vorgehen bei der Wirkungsmessung. Basierend auf den hier aufgeführten Grundlagen wird das konkrete Vorgehen dafür aktuell weiter ausgearbeitet.
1. Die lernende Strategie
Als Weltstadt ist Berlin in einen globalen Kontext eingebettet, der komplex vernetzt und sehr dynamisch ist. Um auf unvorhergesehene Ereignisse reagieren zu können und Erfahrungen aus den Umsetzungsprozesse zu nutzen, ist die Strategie Gemeinsam Digital: Berlin als lernende Strategie konzipiert (siehe Kapitel 1). Dahinter verbirgt sich eigentlich eine Selbstverständlichkeit: Strategien, Maßnahmen und Umsetzungsprozesse können vorausschauend, aber jedoch nur auf Basis des heutigen, begrenzten Wissens gestaltet werden. Deshalb ist es wichtig, regelmäßig zu evaluieren, ob und wie die Ziele und Maßnahmen in einem sich schnell verändernden Umfeld Wirkung entfalten, um sie falls nötig anzupassen.
Die Governance Forschung zeigt, dass die großen Herausforderungen (wie die Klimakrise oder die Corona-Pandemie), vor denen wir als Gesellschaft stehen, sogenannte "Wicked Problems", in herkömmlichen Hierarchien nicht angemessen behandelt werden können. Ein Ansatz, der top-down und bottom-up die Handlungsfähigkeit der Stadtgesellschaft stärkt und orchestriert, durch den sich Akteur:innen als Netzwerk von Interessengruppen effektiver organisieren und als Expert:innen für ihr tägliches Leben die Stadt aktiv mitgestalten, passt besser zur heutigen Governance-Agenda und zu einer Stadt wie Berlin, die weltweit für ihre Kreativität und Freiräume bekannt ist.
Diese "rücksichtsvolle Politikgestaltung" (Humble Government) basiert auf dem "experimentellen Governance-Ansatz" (Sabel & Zeitlin 2012). Experimentelles Regieren ist ein prozessbasierter Ansatz, bei dem Ziele und Ergebnisse in Abhängigkeit von den Iterationen und Gesprächen über das Verfahren der Politikgestaltung veränderbar sind. Der damit verbundene Prozess lässt gleichzeitig eine Umgebung entstehen, in der nachhaltig Vertrauen zwischen verschiedensten Polen aufgebaut werden kann.
- Rücksichtsvolle Problemlösung bedeutet, dass Regierungen anerkennen, dass sie allein nicht alle Antworten haben.
- Rücksichtsvolle Zusammenarbeit bedeutet, dass Regierungen Menschen mit dem Mandat vertrauen, Lösungen für die Probleme zu finden, die ihnen am Herzen liegen
- Rücksichtsvolle Entscheidungsfindung bedeutet, dass wir bereit sind, mit denen zusammenzuarbeiten, mit denen wir nicht einverstanden sind, und das Rampenlicht mit ihnen zu teilen, wenn wir erfolgreich sind.
Der Humble Governance Ansatz basiert auf der Überzeugung, gemeinsam nach einer anpassungsfähigen, respektvollen öffentlichen Verwaltung zu streben, in der eine breite Zusammenarbeit und kollektives Lernen Vertrauen schafft.
Die Grundlagen von Humble Governance wurden in der Strategieentwicklung von Gemeinsam Digital: Berlin erfolgreich etabliert. Beim Aufbau eines Regelkreises für die Lernende Strategie sind folgende Aspekte von Bedeutung (Annala et al. 2020):
1. Wegweisender Konsens bedeutet Einigkeit über Richtung, Mission und übergreifende Ziele von groß angelegten Zukunftsvorstellungen der öffentlichen Politik. Dieser Schritt wurde mit dem Strategischen Rahmen gegangen (Leitgedanken mit Verbindung BerlinStrategie 3.0 als ressortübergreifender Rahmen für die Entwicklung Berlins bis 2030)
2. Dezentralisierte Problemlösung bedeutet, dass verschiedene Akteur:innen an der Umsetzung von Maßnahmen mitwirken. Ausgerichtet an Leitgedanken und Zielen können sie auf ihre Art und Weise die Prinzipien für gute Praxis anwenden und Projekte eigenständig umsetzen und sich gleichzeitig untereinander koordinieren.
3. Erfahrungsbasiert lernen bedeutet, regelmäßig Rückmeldung zum Prozessverlauf zu geben - inklusive Hürden und Erfolgen. Die Erkenntnisse der Umsetzung sollen Teil einer öffentlichen Lernerfahrung werden. In Kombination mit der Wirkungsmessung muss ein Rahmen für Peer-Learning und Partizipationsstrukturen geschaffen werden.
4. Strategische Ausrichtung impliziert, dass kontinuierliches Lernen und die Überarbeitung allgemeiner Ziele und Missionen im Lichte neuer Informationen normalisiert, ermöglicht und wünschenswert werden müssen. Hier muss definiert werden, wie genau Ziele und Maßnahmen angepasst, aber auch Erfolge skaliert werden können.
2. Systemische Wirkungsanalyse
Die Entwicklung Berlins zu einer Smart City ist ein Voranschreiten in einen neuen, teilweise unbekannten Raum. Während man auf einfache und komplizierte Aufgabenstellungen mit Wahrnehmen und Verstehen reagieren kann, besteht bei komplexen Zusammenhängen nur die Möglichkeit, Maßnahmen zu ergreifen und ihre Wirkungen experimentell zu erfassen, um daraus systemische Schlüsse zu ziehen.
Bezogen auf die Fragestellung, wie der dynamische Weg zu einer Smart City aussehen kann, wurden im Beteiligungsprozess zur Erstellung der Smart City charakterisierende Einflussgrößen bestimmt. Durch die Beobachtung dieser Einflussgrößen lassen sich erfahrungsbasierte Wirkungen feststellen. Einflussgrößen und Wirkungen bilden ein System mit spezifischen Mustern, anhand derer das Systemverhalten nachvollziehbarer beschrieben werden kann. Um Maßnahmen systemgerecht, d.h. für den wirksamen Wandel zu einer nachhaltigen, resilienten, gemeinwohlorientierten und kooperativen Zukunft zu konzipieren und umzusetzen, wurde die Wirkungsanalyse systemorientiert entwickelt.
Erfolgsfaktoren
Mit der Fragestellung “Welche Wirkungen charakterisieren eine Dynamik hin zu einem smarten Berlin?” wurden die entscheidenden Einflussgrößen der Smart City und ihre systemischen Wirkungen aufeinander untersucht. Diese sogenannten Erfolgsfaktoren können mit Blick auf die Maßnahmen schwächer oder stärker ausgeprägt sein. Dieses Vorgehen ermöglicht eine gezielte Bewertung besonders zukunftsfähiger Maßnahmen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie wichtige Wirkungen im System verstärken.
1. Langfristiger Nutzen für die Stadt:
Um dauerhaft zu einem nachhaltigen Wirtschaftsmodell beizutragen,
- schaffen wir Abläufe, in denen Verwaltung, Zivilgesellschaft und Wirtschaft gemeinsam die öffentlichen Aufgaben der Grundversorgung übernehmen (gemeinwohlorientierte Betreibermodelle),
- stellen wir sicher, dass Wertschöpfung nicht nur am Bruttoinlandsprodukt, sondern auch an anderen Messgrößen für den Wohlstand einer Gesellschaft (Artenvielfalt, Sozial, Gesundheit, Zufriedenheit, etc.) gemessen wird,
- planen wir so, dass auch zukünftige Generationen davon einen Nutzen haben.
2. Anpassungsfähige Regulation:
Um wichtige Infrastrukturen und Grundlagen der Versorgung für und mit der Stadt zu koordinieren,
- unterstützen wir den Aufbau von Kapazitäten für den kommunalen Eigenbetrieb z.B. im Rahmen eines digitalen Nachhaltigkeitschecks,
- untersuchen wir, welche regulatorischen Rahmenbedingungen förderlich oder hinderlich für die smarte Umsetzung der Maßnahmen sind,
- planen wir den Betrieb generationsübergreifend und machen Vorschläge für die gesetzlichen Anpassungen, um die Transformation Berlins im Sinne der Leitgedanken zu beschleunigen.
3. Funktionalität und Zuständigkeiten:
Um die Handlungsfähigkeit der Stadt und ihrer öffentlichen Institutionen langfristig zu stärken,
- übernehmen wir Verantwortung für Entscheidungen basierend auf Kompetenzen und Wissensstand,
- bearbeiten wir komplexe Fragestellung ressort- und hierarchieübergreifend und verdeutlichen neue Zuständigkeiten Richtung Stadt,
- setzen wir uns für eine starke Verwaltung ein, deren Ausstattung eine wirkungsvolle Zusammenarbeit mit der Stadt ermöglicht.
4. Kreativität und Vielfalt:
Um Berlins Beitrag als Kreativhauptstadt in einer Welt im Wandel zu verdeutlichen,
- lassen wir uns von positiven Beispielen inspirieren und verbreiten diese,
- fördern wir Kreativität in unseren Prozessen und sind offen für Neues,
- spiegelt unser Projektteam die Vielfalt von Berlin.
5. Auffindbarkeit von Informationen:
Um die Selbstbestimmung der Bewohner:innen zu unterstützen,
- veröffentlichen wir leicht auffindbar die notwendigen Informationen und halten sie aktuell (z.B. neue Funktionen, Formulare, Gesetze),
- kommunizieren wir auf nachvollziehbare Weise, wie Maßnahmen geplant und umgesetzt werden und auf welche Ziele sie einzahlen,
- schaffen wir Möglichkeiten, dass alle Zugang zu digitalen Angeboten haben und mitmachen können.
6. Sichtbarkeit in der Stadt:
Um die Digitale Stadt für alle erlebbar zu gestalten,
- machen wir die Umsetzung im Stadtraum sichtbar und verknüpfen digitale mit analogen Ansätzen,
- stellen wir sicher, dass diese Angebote von allen ohne Einschränkung genutzt werden können (auch mit geringem Einkommen, Mobilitätseinschränkungen oder geringen Deutschkenntnissen).
7. Teilen von Werkzeugen und Prozessmodellen:
Um die Unabhängigkeit der Stadtgesellschaft zu sichern,
- nutzen wir Werkzeuge (z.B. Methoden, Vorlagen, Prozesse) oder offene Technologien, die mitgestaltet werden können (open data, open-source bzw. quelloffen),
- machen wir diese Werkzeuge oder Technologien einfach zugänglich und
- tragen wir zu deren Weiterentwicklung bei.
8. Mitbestimmung bei Entscheidungen:
Um demokratische Prozesse zu stärken,
- laden wir die Stadtgesellschaft ein, bei grundlegenden Entscheidungen frühzeitig, einfach und wirkungsvoll mitzuwirken, z.B. in der Planung,
- gehen wir aktiv auf betroffene Bewohner:innen in ihrem Alltag zu und nutzen angemessene Angebote der Beteiligung (aufsuchende Beteiligungsformate).
9. Ebenenübergreifende Prioritätsfindung:
Um auf die Leitgedanken einzuzahlen,
- treffen wir Entscheidungen schnell und nachvollziehbar,
- priorisieren wir Entscheidungen nach vereinbarten Nachhaltigkeits- und Wertschöpfungszielen.
10. Nachhaltige Ressourcennutzung:
Um langfristig den Erhalt der Lebensgrundlagen zu sichern,
- berücksichtigen wir die begrenzten städtischen Freiflächen und natürlichen Ressourcen indem wir
- nur das Notwendigste verbrauchen und uns um Vorhandenes kümmern, um es zu erhalten (Suffizienz),
- Ressourcen als Teil von Stoffkreisläufen verstehen und diese möglichst umweltverträglich gestalten (Konsistenz),
- materielle Ressourcen durch technische Erneuerungen oder Mehrfachnutzung ergiebiger verbrauchen (Effizienz).
11. Wissensaustausch und Weiterentwicklung:
Um eine lernende Stadtgesellschaft zu ermöglichen,
- fördern wir den organisierten Wissensaustausch zwischen Verwaltung, Wissenschaft und Alltagserfahrungen der Bewohner:innen,
- schaffen wir die notwendigen Prozesse, damit wir gemeinsam neues Wissen ausprobieren, Maßnahmen überprüfen und verbessern können,
- kooperieren wir für unsere Maßnahme mit Organisationen und Start-Ups, die neue Ideen in Berlin umsetzen wollen.
12. Respektvolles Miteinander:
Um Vertrauen in Veränderungsprozesse zu schaffen,
- berücksichtigen wir, dass verschiedene Akteur:innen unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten haben (Verwaltung, Bewohner:innen, Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft),
- kommunizieren wir verständlich mit inklusiven Darstellungen und in mehreren Sprachen,
- beziehen wir viele verschiedene Meinungen ein und setzen eine Kultur um, in der Feedback ernst genommen wird.
13. Eigenverantwortung der Beteiligten:
Um die Selbstwirksamkeit der Stadtgesellschaft zu steigern,
- stellen wir sicher, dass die Beteiligten Eigeninitiative im Projekt übernehmen,
- ermöglichen wir der Stadtgesellschaft eine aktive Rolle bei der Umsetzung der Maßnahme,
- bieten wir Möglichkeiten zur Erfahrung von Selbstwirksamkeit in demokratischen Prozessen, um die Motivation und Akzeptanz für gemeinsame Entscheidungen zu steigern.
3. Monitoring für Maßnahmenfortschritte
Die systemische Wirkungsanalyse unterstützt die Priorisierung von Maßnahmen im Rahmen der Strategie und ermöglicht den Projektteams, die Gestaltung der einzelnen Maßnahmen wirkungsorientiert auszurichten. Zusätzlich dazu soll ein Monitoring-Ansatz entstehen, der ohne viel Mehraufwand den Prozessfortschritt der einzelnen Maßnahmen sichtbar macht.
Basierend auf den Erfolgsfaktoren können dabei Indikatoren ermittelt werden, die in weiteren Beteiligungsprozessen mit der Stadtgesellschaft diskutiert und auch zwischen den Projekten verglichen werden können. Angestrebt wird eine Kombination aus qualitativer Wirkungsanalyse und quantitativen Projekt-Indikatoren, die im nächsten Schritt in den Pilotprojekten entwickelt und angewendet werden.
Weitere Schritte sind hier bereits geplant und werden nach Absprache in der nächsten Version der Strategie beschrieben.