3. Einleitung
3.1 Der Spandauer Weg zur Beteiligung von Bürger:innen
Das Spandauer Rahmenkonzept für die Beteiligung von Bürger:innen (kurz: Rahmenkonzept) setzt den institutionellen Rahmen für die Beteiligung der Bürgerschaft in Berlin-Spandau. Zusammen mit dem Handbuch zum Spandauer Rahmenkonzept für die Beteiligung von Bürger:innen (kurz: Handbuch) beschreibt es Abläufe und formuliert Qualitätsanforderungen für eine gute Praxis.
Unter Bürger:innenbeteiligung verstehen wir das demokratische Recht aller Spandauer:innen, über Prozesse und Vorhaben, die sie betreffen, transparent informiert zu werden und Mitbestimmung auszuüben. Das vorliegende Rahmenkonzept ergänzt bereits stattfindende Beteiligungsmaßnahmen und geht auf ihre Herausforderungen ein. Es klärt Zuständigkeiten, beschreibt Abläufe, auch in Fällen, bei denen bisher keine Beteiligungsmöglichkeiten vorgesehen sind, und formuliert Qualitätsanforderungen für die Beteiligung von Bürger:innen in Berlin-Spandau.
Im Bezirk Spandau findet bereits seit langem Beteiligung in zahlreichen Fällen und in unterschiedlichen Ressorts statt: In der Stadtplanung, in der Straßen- und Grünflächenplanung, in der Gestaltung von Schulen, Spielplätzen sowie von Kinder- und Jugendeinrichtungen – um nur einige Beispiele zu nennen. Die bisherigen Erfahrungen mit Beteiligung der Bürgerschaft sind insgesamt positiv, zeigten jedoch auch Herausforderungen, vor allem den Mangel an zeitlichen, personellen und finanziellen Ressourcen der Fachämter.
3.2 Entwicklungsprozess des Rahmenkonzepts
Mit der Erarbeitung des Rahmenkonzepts wurde ein externes Dienstleistungsbüro beauftragt. Die Erarbeitung fand in Abstimmung mit den zuständigen Fachämtern im Bezirksamt unter Federführung des Fachbereichs Stadtplanung sowie der Organisationseinheit (OE) Qualitätsentwicklung, Planung und Koordination in einem mehrstufigen Prozess statt. Bis zur Einbeziehung einer breiteren Öffentlichkeit bleibt das Dokument ein Entwurf:
Abbildung 1: Erarbeitungsprozess Spandauer Rahmenkonzept für die Beteiligung von Bürger:innen
3.3 Formen und Stufen der Beteiligung
Es lässt sich zwischen verschiedenen Formen der Beteiligung (Partizipation) unterscheiden:
- Repräsentative, also stellvertretende Verfahren durch Beteiligung der Bürger:innen an Wahlen, z.B. von Parlamenten
- Direkte Formen durch Beteiligung an Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden bzw. Volksbegehren und Volksentscheiden
- Dialogorientierte, beratende Formen der Beteiligung
- Protestierende Formen der Beteiligung, durch soziale Initiativen und Bewegungen
- Ehrenamtliche Formen durch bürgerschaftliches Engagement
In der Praxis lassen sich die meisten dieser Formen der Beteiligung kombinieren.
Das vorliegende Rahmenkonzept betrifft dialogorientierte und konsultative Formen der Bürger:innenbeteiligung und regelt deren Verhältnis zu anderen Beteiligungsformen.
Es existieren verschiedene Modelle der Bürger:innenbeteiligung, aber fast alle beinhalten folgende vier Stufen:
Information
Grundlage jeder Bürger:innenbeteiligung ist die umfassende Information der Bürgerschaft über aktuelle Entwicklungen. Interessierte und Betroffene werden eingeladen, sich über ein geplantes Vorhaben und seine Auswirkungen zu informieren.
Beratung (Konsultation)
Bürger:innen können zu den geplanten Vorhaben eigene Ideen beitragen und Stellung zu den vorgelegten Planungen nehmen. Sie erhalten damit die Möglichkeit, ihre Position darzulegen und ihre Ideen für die Umsetzung einzubringen, können jedoch nicht über Inhalte entscheiden. Die abschließende Entscheidung liegt bei den fachlichen und politischen Entscheidungsträger:innen.
Mitentscheidung (Kooperation)
Bürger:innen können bei der Entwicklung von Vorhaben mitbestimmen. Der Entscheidungsrahmen wird vorher festgelegt. Ziele und Umsetzung werden gemeinsam mit den Entscheidungsträger:innen ausgehandelt. Dies gewährleistet einen nachhaltigen Einfluss der Bürgerschaft auf die geplanten Maßnahmen.
Entscheidung
Bürger:innen geben ihre Stimme ab und treffen damit eine verbindliche, gemeinsame und von vielen legitimierte Entscheidung. Durch Verfahren der direkten Demokratie können Bürger:innen unmittelbaren Einfluss auf ihr lokales Umfeld nehmen. Dialogorientierte Beteiligungsverfahren bieten gute Möglichkeiten, die Instrumente der direkten Demokratie zu ergänzen.
Abbildung 2: Die Stufen der Beteiligung
Konkrete Beispiele werden im Handbuch zum Spandauer Rahmenkonzept für die Beteiligung von Bürger:innen dargestellt.
3.4 Qualitätsanforderungen
Alle im Partizipationsprozess beteiligten Akteur:innen einigen sich auf folgende Standards:
Transparenz, Frühzeitigkeit & Ergebnisoffenheit
Transparenz und Verlässlichkeit im Umgang miteinander sind die Grundlagen einer vertrauensvollen Kooperation. Bürger:innen werden frühzeitig in Entscheidungsprozesse mit einbezogen. Alle wesentlichen Informationen werden ihnen zugänglich gemacht. Über die Vorhabenliste wird Transparenz über die relevanten Vorhaben im Bezirk Spandau hergestellt. Zu Beginn eines Beteiligungsprozesses werden Beteiligungsgegenstand, Ziele, Stufe der Beteiligung sowie der Umgang mit den Ergebnissen klar formuliert und öffentlich gemacht. Allen beteiligten Akteur:innen und der Öffentlichkeit müssen die Rahmenbedingungen des Prozesses klar sein. Dabei ist insbesondere wichtig, die Gestaltungs- und Entscheidungsspielräume der Beteiligungsverfahren festzulegen und offen zu kommunizieren.
Niederschwelligkeit, Vielfalt, Inklusion, Erreichbarkeit & Dezentralität
Um Bürger:innen den Zugang zu Informationen und zu Beteiligungsmöglichkeiten zu ermöglichen, wird Partizipation in Spandau dezentral organisiert. Neben der bezirklichen Koordinierungsstelle Bürger:innenbeteiligung werden Akteur:innen und Institutionen in den Stadtteilen den Zugang erleichtern. Informationen werden klar, übersichtlich, nachvollziehbar und in bürgerfreundlicher Sprache zielgruppengerecht aufgearbeitet und in geeigneter Weise übermittelt und öffentlich gemacht. Barrierefreiheit, interkulturelle Kommunikation und Beteiligung von Kindern und Jugendlichen sind drei wichtigen Dimensionen von inklusiver Beteiligung und sollen nach Möglichkeit berücksichtigt werden. Beteiligung von Bürger:innen kann im Hinblick auf die Belange von Menschen mit Behinderungen allerdings nicht die Einbindung von Interessensvertreter:innen ersetzen. Dieser Prozess orientiert sich an „spandau inklusiv“. In der Planung von Beteiligungsverfahren wird Barrierefreiheit angestrebt, sodass die Verfahren möglichst barrierearm sind.
Dialogbereitschaft, Fairness, Lösungsorientiertheit & Respekt
In der Bürger:innenbeteiligung treffen sich Entscheidungsträger:innen und Bürger:innen auf Augenhöhe und respektieren sich gegenseitig. Sie verständigen sich frühzeitig auf verbindliche Spielregeln für einen konstruktiven Umgang miteinander. Wertschätzung, Akzeptanz, Offenheit, Toleranz und Fairness bilden die Prinzipien dieser Spielregeln. Alle Ideen und Meinungen haben ihre Berechtigung. Vereinbarte Zwischenergebnisse und getroffene Entscheidungen werden von allen beteiligten Akteur:innen respektiert.
Verbindlichkeit und Rechenschaftspflicht
Klare Regeln über den Umgang mit den Ergebnissen aus Beteiligungsverfahren werden in diesem Rahmenkonzept festgehalten. Die Entscheidungsträger:innen setzen sich intensiv mit den Ergebnissen der Beteiligung auseinander. Sie prüfen sorgfältig die Handlungsalternativen und wägen diese ab. Auf dieser Grundlage treffen sie ihre Entscheidung, die sie dann begründen und kommunizieren. Der Umgang mit den Ergebnissen der Beteiligung durch Verwaltung und Politik wird transparent und nachvollziehbar dokumentiert.
Selbstreflexion & Lernfähigkeit
Alle neuen Prozesse haben einen experimentellen Charakter, d.h. es werden neue Dinge ausprobiert, die anschließend evaluiert werden müssen. Diese Evaluation soll der kritischen Selbstreflexion dienen und einen ständigen Lernprozess anstoßen. Die Ergebnisse von Evaluation und Selbstreflexion können somit zur Anpassung des Beteiligungsprozesses führen bzw. in die Fortschreibung des Rahmenkonzepts einfließen.
3.5 Geltungsbereich
Den Entscheidungsrahmen bzw. die Grenzen der Beteiligung bilden immer die gesetzlichen Regelungen. Bürger:innenbeteiligung betrifft alle bezirklichen Vorhaben in Spandau, wie z.B. Jugend, Kultur, Stadtentwicklung, Verkehr, Grün, Umwelt. Im Bezirksverwaltungsgesetz (§ 41 Abs. 2) wird folgendes festgehalten:
„Bei wichtigen Planungen und Vorhaben des Bezirks, die das wirtschaftliche, soziale und kulturelle Wohl der Einwohnerinnen und Einwohner nachhaltig berühren, insbesondere beim Haushaltsplan und bei mittel- und längerfristigen Entwicklungskonzeptionen oder -plänen, unterrichtet das Bezirksamt die Einwohnerschaft rechtzeitig und in geeigneter Form über die Grundlagen sowie Ziele, Zwecke und Auswirkungen. Den Einwohnerinnen und Einwohnern soll Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden. Die Vorschriften über eine förmliche Beteiligung oder Anhörung bleiben unberührt.“
Bei Bundes- und Landesvorhaben, sowie bei Vorhaben privatwirtschaftlicher Akteur:innen greift das hier vorgelegte Rahmenkonzept nicht, da sie nicht in der Zuständigkeit des Bezirks liegen und nicht über sie beschlossen werden kann. Sollten für ein Vorhaben mehrere Behörden neben der Spandauer Bezirksverwaltung verantwortlich sein, so müssen immer vorab die Möglichkeiten einer Bürger:innenbeteiligung unter den zuständigen Behörden geklärt werden. Die Koordinierungsstelle kann bei Bedarf privaten Entwickler:innen beratend zur Seite stehen.
Vorhaben sind nicht Gegenstand einer Bürger:innenbeteiligung, wenn das öffentliche Wohl oder berechtigte Interessen Einzelner eine Vertraulichkeit erfordern (beispielsweise Datenschutz). Auch ordnungsbehördliche Maßnahmen unterliegen nicht einer Beteiligung. Die abschließende Entscheidung, ob Beteiligung bei einzelnen Vorhaben stattfindet, liegt im Ermessen des Bezirksamts.