Team 5 – Henning Larsen / OS Arkitekter / Goudappel mobility
Köpenicker Landschaftsstadt
- Ein Erklärvideo zum Planungsentwurf sowie die Präsentationspläne zum Download finden Sie auf der Projektwebsite zum städtebaulichen Werkstattverfahren HIER. (externer Link)
ERLÄUTERGUNGSBERICHT
Köpenick – die Wasserstadt – Verbindung zwischen Natur und Stadt
Berlin hat seinen Ursprung im Sumpf, der Handel durch die Wasserkorridore und Landwirtschaft durch das nährstoffreiche Flussbett unterstützte. Köpenick ist gekennzeichnet durch eine starke Nähe zum Wasser – Seen, Flüsse, Biotope und Bäche.
Köpenicker Landschaftsstadt
Das neue Quartier um den ehemaligen Güterbahnhof Köpenick befindet sich in und mittelbarer Nähe zu zwei unterschiedlichen urbanen Modellen der 1920er. Im Westen die ehemaligen städtische Beamtensiedlung und im Norden die beiden Gartenstädte. Beide weisen hohe Qualitäten auf und dienen als Inspiration.
Die Gartenstadtbewegung wollte die Vorteile von Land und Stadt in einer neuen klaren, aber kombinierten Struktur vereinen. Bahnverbindungen, Wasser, Zugang zur Natur und Anbau von Nahrungsmitteln bilden das Rückgrat. Das zentrale Herz der Stadt ist der Park. Allerdings sind diese Siedlungen monofunktional. Die Beamtensiedlung hingegen ist urbaner, gemischter, vereint unterschiedliche Maßstäbe in einem Block.
Gerade die Gartenstadtphilosophie mit ihrer Nähe zur Natur, der Gedanke der Selbstversorgung birgt Themen, mit denen wir uns über 100 Jahre später wieder auseinandersetzten. Die Klimakrise, veränderte Lebensweisen post-Covid und verringerter Zugang zu Ressourcen fordern uns auf, den Städtebau zu überdenken.
Lösungen können in dem Konzept der Köpenicker Landschaftsstadt gefunden werden, in der Landschaft und Urbanität eng miteinander verbunden sind. Sie zeichnet sich durch ihre enge Vernetzung mit ihrer Umgebung, ihrer horizontale und vertikale Durchmischung aus und befindet sich inmitten des Bestands, auf einer Brachfläche. Das Konzept der 15-Minuten-Nachbarschaft, dass alle Einwohner:innen ihre täglichen Bedürfnisse (Arbeit, Wohnen, Essen, Gesundheit, Bildung, Kultur und Freizeit) innerhalb von 15 Minuten zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichen können, ist dabei auch maßgebend. Die Landschaftsstadt steht für Ressourcenschonend, Upcycling, Wiederverwendbarkeit und Sequestrierung, als fundamentale Grundlagen.
Damit schaffen wir ein resilientes Quartier, das sich der Realität des Klimawandels mit steigenden Temperaturen, andauernder Trockenheit und Starkregen und des gesellschaftlichen Wandels stellt, um den steigenden Bedarf an Wohnraum in Berlin gerecht zu werden.
Grüne Vernetzungen
Das Quartier schließt sich an das bereits bestehende ökologisches Netz in der weiteren Umgebung an – die grünen Erholungssysteme der Umgebung, sowie an die vielfältigen Biotope. So schaffen wir eine blaugrüne Infrastruktur mit Lebensräumen für alle, in den Menschen, Tiere und Natur nebeneinander existieren können.
Vom abgesperrten Bahngelände zum grünen und urbanen Dynamo
Das Quartier verbindet sich mit den umliegenden Quartieren sowohl durch eine Fortsetzung der Bebauung und die Körnigkeit als auch durch eine Verbindung zu den umgebenden blauen Grünqualitäten. Wir gehen bei der Entwicklung von einer klaren Hierarchie zwischen privatem und öffentlichem Raum aus. Die Körnigkeit der Beamtensiedlung mit ihrem menschlichen Maßstab und Organisation der Blöcke und Innenhöfe verbinden wir in der Landschaftsstadt mit sozialer Durchmischung und Nutzungsvielfalt und Zugang zur Natur für alle. Durch die Vernetzung von urbanen Blöcken und Landschaftszügen schaffen wir auch verschiedene Kieze mit speziellen Charakteren.
Die urbansten Bereiche befinden sich in Verbindung mit dem Bestand, am Bahnhof Köpenick-Bahnhofstrasse in Westen und am Brandenburger Platz im Süden, dort sind flächenintensivere Funktionen und Einzelhandel angelegt. Angrenzend an die soziale Infrastruktur und Gemeinschaftsnutzungen im Zentrum des Quartiers zwischen Ostumfahrung und Biotop. Aktivitäten in den öffentlichen Räumen, Cafés, Kneipen, Kultur- und Spielmöglichkeiten bringen Menschen unterschiedlichen Alters und Herkunft, zusammen. Die Schulen und ihre Freiräume können nach der Schulzeit weiter genutzt werden. Kinder, Jugendliche, Erwachsene und ältere Menschen können dort Kurse besuchen. Die Mobilitätshubs sind auch Teil der sozialen Infrastruktur und der Gemeinschaft mit Gemeinschaftsräumen, Gyms, Lieferdienstschließfächer, Waschsalons, Fahrradwerkstätten, Sportanlagen oder kleine Einzelhandelsgeschäfte, shared Lastenräder, E-Bikes und E-Autos. Durch das Angebot verschiedenster Wohnformen in einem Block entsteht ein generationsübergreifendes Quartier, das unterschiedlichen Bewohner:innen anzieht.
Zufußgehen und Radfahren als Hauptnutzung
Aufgrund des hohen Nachhaltigkeitsanspruchs des Projekts und der Wahl niedriger Parkplatzstandards sind die Mobilitätsstrukturen auf Fußgänger:innen und Radfahrer:innen als Hauptnutzer:innen ausgerichtet. Dazu gehören vernetzte Fuß- und Radverbindungen zu Bus- und Straßenbahnhaltestellen und zu beiden S-Bahn-Stationen.
Niedrige Standards für das Parken von Autos – hohe Standards für das Fahrrad
Die Parkierung in den Quartiersgaragen-Hubs wird eine maximale Doppelnutzung angestrebt, damit alle verfügbaren Parkplätze so effizient wie möglich genutzt werden. Auch dank dieser Doppelnutzung lassen sich 0.1-0.3 Stellplätze pro Wohnung realisieren. D.b 513 Pkw-Stellplätze einschließlich 67 Carsharing und Besucherstellplätze Für die Nicht-Wohnfunktionen werden zusätzlich 27 Pkw Stellplätze benötigt. Die relativ geringe Zahl ergibt sich aus der Differenz der verkehrsreichsten Zeiten für Nicht-Wohnzwecke und Wohnzwecke.
Um eine erfolgreich autoarme Stadt zu garantieren, sind großzügige und vielseitige Fahrradparkierung fundamental. An beiden S-Bahnstationen bieten wir Fahrradparkhäuser an, mit 950 Abstellplätzen am Bahnhof Köpenick. Für die Bewohner:innen stellen wir 5.310 Fahrradabstellplätze in überdachten und geschlossen gemeinschaftliche Fahrradabstellanlagen an, die sich in den Innenhöfen oder EG-Zonen befinden. Darüber hinaus werden für die Arbeitnehmer:innen 160, für Besucher:innen 540 Fahrradabstellplätze benötigt.
Das Kreislaufquartier
Um die Komplexität und die Zusammenhänge der vorgeschlagenen Kreisläufe zu erläutern, haben wir eine Matrix entwickelt (siehe Board 1)
Schwammstadt und Biodiversität
Niederschlagswasserbeseitigung in Form der Förderung von Versickerung ist seit mehreren Jahrzehnten Teil der Planungskultur. Nichtsdestotrotz weiteres Umdenken ist erforderlich: anstatt der Bevorzugung von Versickerung sind Maßnahmen der Verdunstung zu priorisieren, was besonders während Berlins trockenen Sommern von Bedeutung ist. Verdunstung vor Versickerung vor Abfluss als Credo! Da sich Flächen mit hoher Verdunstung deutlich weniger aufheizen, können sie zudem auch die Umgebung kühlen. So wirken Grünflächen, Bäume, Oberbodenmaterial und Verschattung als System zusammen, um den Heat-island Effekt zu minimieren, gleichzeitig wird das Risiko durch Starkregenereignisse begrenzt und negative Auswirkungen auf Ökosysteme und Artenvielfalt, der Verlust von Lebensräumen verhindert. Wir nutzen die vorhandenen Tiefpunkte, um Wasser auf dem Gelände zurückzuhalten, und verwandeln diesen Bereich in einen wilden Naturkorridor, der Ost und West miteinander verbindet. Gleichzeit können wir den vorhandenen Baumbestand erhalten. Weitere Biotope befinden sich entlang der Bahngleise, im Süden handelt es sich dabei um einen Biotoplärmschutzwall.
Klimaneutralität
Die „Klimaneutralität“ von Null Emissionen im Gebäudebetrieb ist fast erreichbar, aber die Reduzierung von grauen Energien, d.h. vor allem die Herstellung und der Transport von Baumaterialien ist eine Herausforderung. Da die graue Energie den Großteil der CO2 Emissionen im Baugewerbe ausmachen, legt unsere Herangehensweise großen Wert auf:
Wiederverwendung – Upcycling
Gebäude – Erhalt der wenigen nutzbaren Gebäude, durch hochwertige Renovierung und Sanierung, z.B. des Plattenbaus an der Seelenbinderstrasse 112-124.
Materialien – Reinigung vor Ort den kontaminierten Ziegeln und Wiedereinsetzen im Fassadenbereich neuer Gebäude und Verwendung von lokale Gebäudematerialen von Abrissgebäuden – ausrangierte und aufgearbeitete Kastenfenstern, Ziegel und Fassadenmaterialen, Innenausbau (z.B. Badezimmer) etc. Wir schlagen vor, mit einem Pilotprojekt in der ersten Phase starten, um die Machbarkeit für die weiteren Phasen zu testen. Dabei muss beachtet werden, dass die lokale Wiederverwendung von Materialen eine gewisse Vorlaufzeit hat, entsprechend muss die Beschaffung und Lagerung geplant werden.
Reduzierung
Durch den Verzicht auf Unter- und Kellergeschosse reduzieren wir den Bedarf an Beton erheblich, der einen sehr hohen Anteil an grauer Energie aufweist. Weiterhin wäre es durch eine Verringerung der Grundrissgröße möglich, die m2 pro Person zu reduzieren. Wir schlagen eine Reduktion von 7%-20% vor. Das bedeutet anstatt 57m2 BGF pro Person, wie in der Ausschreibung verlangt, 53m2 bis 46m2 pro Person zu berechnen, Köpenicks Durschnitt beträgt ca 53m2 BGF (7% Reduktion).
Damit können wir Wohnraum für 3.220 bis 3.710 Bewohner:innen erzielen. Zeitgenössische Wohnungsarchitektur mit flexiblen, durchdachten Grundrissen, die auf die Bedürfnisse und den Wandel der heutigen Gesellschaft eingehen, z.B. mit Gemeinschaftseinrichtungen wie Gästezimmer, Küchen, Waschsalons können einen großen Beitrag zur CO2 Verringerung leisten, ohne die Bedürfnisse der Bewohner:innen zu komprimieren.
Sequester
Reduzierung der Auswirkungen auf den Lebenszyklus – Verwendung von möglichst ungiftige und VOC-arme Materialien und von biogenen Materialien, damit die Gebäude zu Kohlenstoffbanken werden z. B Holzbauweise, Lehmbauweise für niedrigere Gebäude (Schule, Kindergarten, etc), Isolation mit Stroh, um nur einige Möglichkeiten zu nennen.
Design für Demontage – Alle Gebäudeteile werden so konzipiert, dass sie wiederverwendbar sind.
Hohe Energieeffizienz
Das Energiekonzept des Quartiers fußt auf folgenden Kriterien: Geringer Wärme- und Strombedarf der Gebäude, effiziente Nutzung erneuerbarer Energiequellen, CO2neutraler Betrieb des Quartiers mit Ziel hinsichtlich „Energie-Plus“ (lokal wird mehr erzeugt als verbraucht wird), innovatives und intelligentes Energiemanagement auf Quartiersebene.
Die Gebäude im Quartier werden im Passivhausstandard geplant. Zur effizienten Nutzung lokaler, erneuerbarer Energiequellen ist ein LowEx-Wärmenetz vorgesehen. Die Wärmeversorgung des LowEx-Netzes erfolgt über eine zentrale Wärmepumpe. Es wird erwartet, dass der Boden des neuen Quartiers ausgetauscht werden muss und in diesem Zusammenhang eine großflächige Verlegung von Erdwärmekollektoren als Hauptwärmequelle der Wärmepumpe kostengünstig möglich ist. Zusätzlich wird die Nutzung des Wärmepotenzials von Regenwasserversickerung angestrebt. Als zusätzliche Wärmequellen kommen ein Erdwärmesondenfeld, Abwärmenutzung aus Gebäudeabluft und Gebäudeabwasser sowie ggf. aus nahen gelegenen Supermärkten/Einkaufszentren (Forum Köpenick) in Betracht. Das System wird auch zum Kühlen verwendet, wobei die Wärmepumpe reversibel arbeitet.
Zur Stromerzeugung sind auf Dach und Fassade der Gebäude sowie auf frei verfügbaren Flächen im Quartier, PV-Anlagen geplant. Überschüssiger Strom wird in einer stationären Batterie gespeichert, die aus einer großen Anzahl alter Elektroautobatterien besteht, was die Nutzung von selbst erzeugtem Strom erhöht. Der CO2-neutrale Betrieb des Quartiers kann sichergestellt und darüber hinaus „Energie-Plus“ angestrebt werden, wenn zusätzlich zu den obigen Maßnahmen eine Integration eines Biogaskraftwerk (BZKW), das mit Abfällen betrieben wird (siehe Ikea Biogas), geplant wird. Die erzeugte Wärme des BZKW wird in das LowEx-Netz eingespeist. Für das Quartier ist ein lokales SmartGrid-Netz geplant, das Stromerzeugung, Speicherung und Verbrauch vereint.
Lärmschutz
Das Konzept arbeitet mit verschiedenen Maßnahmen und in verschiedenen Kombinationen, um Lärmemissionen zu verringern: geschlossene Riegelbebauung parallel zu den Lärmquellen; entlang der Bahntrasse im Süden dient der erhöhte Biotopgrünstreifen (min. 5m hoch) zwischen Trasse und Wohnbebauung als Lärmschutzpuffer. Gewerbenutzungen im EG und teilweise im OG entlang der Ostumfahrung, des Stellingdamms und der Seelenbinderstraße tragen weiterhin zur Reduzierung bei. Entlang der Bahntrasse kann die Organisation der Grundrisse z.B. Laubengangerschließungen sowie private und halb-private Wintergärten und Gewächshäuser zur Verringerung beitragen. Schließlich werden Kastenfenster dann eingesetzt, wenn der Lärmpegel trotz der vorherigen Maßnahmen überschritten wird und wenn die Öffnung der Fenster zu Querventilation notwendig ist. Berlins Bauten weisen eine große Anzahl an Kastenfenster auf. Gerade diese können einfach aufgewertet und wiederverwendet werden, um die graue Energie zu reduzieren.
Der ganzheitliche Ansatz der Köpenicker Landschaftsstadt setzt hohe Maßstäbe für ein zukunftsweisendes, ressourcenschonendes, vernetztes und lebenszentriertes Quartier im Einklang mit Natur und Stadt.