Ergebnisse der Winter-Anlaufstelle in der Nördlichen Luisenstadt
English version: results winter drop-in point.pdf & Türkçe versiyon: Sonuçlar kış temas noktası.pdf
Langbericht Winter-Anlaufstelle Nördliche Luisenstadt:
Zum Hintergrund:
Das Bezirksparlament, die BVV Mitte, hat am 17.11.2022 beschlossen, die verkehrliche Situation in der Nördlichen Luisenstadt neu zu ordnen.
Ziel des Beschlusses ist es, verkehrsbedingte Belastungen für die Anwohner*innen zu vermindern und Fußwege insb. für Kinder und ältere Menschen sicherer zu gestalten. Dafür soll der ortsfremde Kfz-Durchgangsverkehr auf die dafür vorgesehenen Hauptverkehrsstraßen zurückgeführt werden. Die meisten Straßen im Kiez bleiben dann weiterhin für den Anliegerverkehr durch Kfz erreichbar, jedoch in verträglicher Geschwindigkeit. Durch Umgestaltung des öffentlichen Straßenraums soll die Aufenthalts- und Lebensqualität im Kiez erhöht und der Stadtraum klimafit und punktuell auch für nachbarschaftliche Begegnung aufgewertet werden.
Dafür soll das Gebiet um die Nördliche Luisenstadt in die Kiezblock-Planungen des Bezirks aufgenommen werden, welche in zwei weiteren BVV-Beschlüssen weiter konkretisiert werden. Das Gebiet umfasst den Bereich um die Alte Jakobstraße, das Engelbecken bzw. Annenstraße und das Märkische Ufer. Der genaue Wortlaut der Beschlüsse kann nachgelesen werden in den Drucksachen (DS) DS 0476/VI, DS 3149/V und DS 0343/VI.
Um die Neuordnung des Straßenraums möglichst genau auf bestehende Problemlagen und bisher unberücksichtigte Bedarfe von Anwohner*innen und Anlieger*innen der Nördlichen Luisenstadt anzupassen, sollen diese schon früh Gelegenheit haben, Bedarfe, Konflikte und Lösungsansätze in die Grundlagenplanung einzubringen.
Im Rahmen der Partizipativen Begleitung der Kiezblocks-Umsetzung im Antonkiez und der Nördlichen Luisenstadt hat das Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit (RIFS) Potsdam dazu am Montag, den 04.12.2023 die erste Vor-Ort-Beteiligung im Planungsgebiet Nördliche Luisenstadt in Kooperation mit dem Bezirksamt Mitte (BA) durchgeführt. Die Informationen der Winter-Anlaufstellen ergänzen die bereits bekannten Konzepte organisierter Anwohner*innen-Initiativen (z.B. der Kiezblock-Initiative Nördliche Luisenstadt) und die Melde- und Beschwerdelage im Bezirksamt und werden als weitere Datengrundlage für die Erarbeitung eines ersten Kiezblock-Konzepts genutzt.
Die Beiträge sind auf einer Online-Karte für alle zugänglich aufbereitet dokumentiert: http://u.osmfr.org/m/989223/
Zur Beteiligungsmethode:
Um eine möglichst breite Beteiligung zu ermöglichen war das Team bei winterlicher Witterung dafür von morgens 11:00 bis 13:00 Uhr und von 14:00 bis 18:30 abends an mehreren Standorten im Kiez mit einem mobilen Info- und Beteiligungsangebot zum Thema “Verkehr im Kiez - Was läuft gut? Wo gibt’s Probleme?” unterwegs.
Ziel des Beteiligungsformats war es, Erfahrungen, Meinungen und lokales Wissen von verschiedenen Personengruppen zu erfragen. Dabei sollten insb. auch Menschen eingeladen werden, die sonst keine Beteiligungsformate besuchen und nicht bereits in einer Initiative organisiert und mit ihrer Meinung vertreten sind. Um dies zu gewährleisten, war es entscheidend, dass alle befragten Personen sich zufällig und spontan für die Beteiligung entscheiden konnten. Daher wurde auf eine Vorab-Information auch bewusst verzichtet.
Die drei Standorte Michaelkirchplatz (Nord), City-Grundschule und Ecke Insel-/Wallstraße bildeten einen guten Schnitt durch das große Projektgebiet. Durch die Wahl der drei städtebaulich, verkehrlich und soziodemografisch sehr unterschiedlichen Orte konnten dabei aus sehr unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen um die 50 Personen erreicht werden.
Die Wetterbedingungen waren bei Temperaturen um den Gefrierpunkt und Glatteis sehr herausfordernd, die Beteiligung ist unter diesen Umständen außerordentlich gut und z.T. auch sehr ausdauernd gewesen. Heißer Apfelsaft und Tee trugen zum guten Austausch bei.
Das Format hat sich unter winterlichen Bedingungen besser als zunächst erwartet bewährt. Bemerkenswert ist dabei insb. die hohe Zahl an Menschen, die erklärten, bisher bzw. normalerweise nicht an offiziellen Beteiligungsformaten und -veranstaltungen teilzunehmen. Sehr auffällig war zudem die hohe Zahl an Eltern und insb. Müttern mit kleineren Kindern, die ortskundig Probleme verorten und Hinweise zu wichtigen Kinderwegen mitgeben konnten.
Neben der verbreiteten Ansicht, selbst nichts beizutragen zu haben, stellte sich bei vielen anfänglich zögerlichen Personen die Sprache als Hemmschwelle zur Teilnahme heraus. Eine erneute und positiv bestärkende Ansprache, bei Sprachbarrieren auch auf Englisch und z.T. anderen Sprachen, ermöglichte dann häufig doch noch Beteiligung – oft zum ersten Mal überhaupt und z.T. sogar umso ausführlicher und mit besonders wertvollen Hinweisen. Vielen Dank für Ihren Mut! Nur in sehr wenigen Fällen war eine Beteiligung aufgrund von Sprachbarrieren nicht möglich. Mehrmals konnten Angehörige oder Passant*innen durch spontane Übersetzung aushelfen – auch dafür vielen Dank! Ideal wäre eine Sprachmittlung zu türkisch/arabisch.
Zu den Ergebnissen:
Bemerkenswert war die hohe Qualität der Beteiligung. Obwohl das Thema Verkehr medial und politisch derzeit stark polarisiert, waren die Beiträge fast durchweg konstruktiv. Kritische Stimmen konnten meist sachlich geklärt und konkret verortet werden. An allen Standorten wurden dabei proaktiv sehr konkrete und planerisch verwertbare Bedarfe geäußert. Alle Beiträge sind auf dieser Online-Karte aufbereitet dokumentiert.
Die Gefährdungen für Fußgänger*innen, insb. Kinder und mobilitätseingeschränkte Menschen, durch zu schnellen und v.a. zu viel Kfz-Verkehr waren Thema in fast in allen Äußerungen, selbst von Menschen, die angaben, selbst gerne Auto zu fahren. Sehr auffällig zudem, dass das Verhalten von „Fahrenden“ kaum Thema war, mit Ausnahme von Rasen, Autorennen, gefährlichem Falschparken und Gehwegradeln. Ein Hinweis darauf, dass viele befragte Personen weniger menschliches Fehlverhalten als Hauptproblem sehen, sondern systematische Mängel in der Lenkung des Verkehrs und fehlende, unsichere oder ungeeignete Verkehrswege bemängeln.
Vor der City-Grundschule in der Sebastianstraße konnte die genaue Problemlage mit der hohen Zahl verkehrswidrig haltender Elterntaxis, chaotischem Autoverkehr in beide Richtungen der sehr engen Straße und damit insb. für Grundschulkinder sehr gefährliche Verkehrssituation im direkten Gespräch mit Schulkindern, Schülerlotsinnen, Eltern und Lehrer*innen noch einmal verdeutlicht und auf einer Karte genauer verortet werden.
Neben unübersichtlichen Querungs- und Kreuzungssituationen wurden Vorschläge geäußert zur Beruhigung des motorisierten Verkehrs, insb. von reinen Durchgangsverkehren sowie zum (Falsch-)Parken.
Das Thema Parken spielte davon abgesehen selten eine Rolle, exemplarisch wurde geäußert, dass „die Autos ja auch irgendwo hin müssten“, „es nicht genügend Platz für die immer mehr werdenden Autos gäbe und es schwierig sei, einen Parkplatz zu finden“. Oft wurde aber selbst von autofahrenden Befragten geäußert, dass die zunehmende Zahl an Kfz nicht mehr sinnvoll im Kiez unterzubringen sei und das öffentliche Leben vor allem für Ältere und Kinder stark einschränke und es durch v.a. durch zugeparkte Ecken alltäglich zu gefährlichen Situationen komme. Die Situation von Fußgänger*innen an Kreuzungen wurde vielfach angesprochen: Ampelumläufe seien zu kurz, Sichtbeziehungen sind schlecht, es fehlen sichere Querungsstellen. An der Wallstraße seien Schulkinder sogar angewiesen, nicht direkt zu kreuzen, da der Kfz-Verkehr hier extrem stark und schnell fahre, was sich vor Ort deutlich bestätigte. Vielfach angesprochen wurde auch das durch schnelle Autofahrende schwierige Queren der Alten Jakobstraße, vor allem für Kinder. Die Querung stellt auf vielen Schulwegen und Wegen zwischen Wohnort und Nahversorgung eine große Bedeutung dar.
Weniger Äußerungen gab es dagegen zu Straßengestaltung, Aufenthalt und Begrünung, was auf Nachfrage bei einigen Beteiligten sowohl an der winterlichen Witterung als auch am prioritären Bedarf nach verkehrslenkenden bzw. gefährdungsmindernden Maßnahmen liegen könnte, ohne die eine Umgestaltung des Straßenraums nicht vorstellbar oder sinnvoll sei. Nicht überraschend, aber auffällig viel Feedback wurde zudem zum unmittelbaren Nahraum am jeweiligen Standort der Anlaufstelle geäußert. Infobedarf zu Vorhaben oder Beschlüssen des Bezirksamts wurden nur sehr punktuell und häufig erst im Gespräch geäußert.
Danksagung & Weitere Informationen:
Wir bedanken uns beim Stadtteilbüro Friedrichshain und der Anlauf- und Koordinationsstelle für öffentliche Räume (AKöR) für die logistische und konzeptionelle Unterstützung bei Vorbereitung und Durchführung sowie bei allen Teilnehmenden für die wertvollen Hinweise und konstruktive Mitwirkung!
Alle Beiträge der Winter-Anlaufstelle finden Sie in der Online-Karte (http://u.osmfr.org/m/989223/)
Die Partizipative Begleitung der Kiezblocks-Umsetzung in der Nördlichen Luisenstadt und im Antonkiez wird unterstützt durch Mittel einer Förderung des Bundesministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz (BMUV). Das Projekt wird gemeinsam vom Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit (RIFS) Potsdam, dem Bezirksamt Mitte von Berlin und der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg (UMM) durchgeführt.
Mehr Infos zum Projekt finden Sie auf der Website des RIFS und Infos + FAQ zu Kiezblocks in Berlin-Mitte auf der Website des Bezirksamtes.