Matthias-Erzberger-Platz
Matthias Erzberger (1875-1921), christlicher Gewerkschafter und Mitglied der Zentrumspartei, war schon 1903 in den Reichstag gewählt worden, wo er 1905 die Skandale der deutschen Kolonialpolitik anprangerte und allein mit dem Sozialdemokraten Karl Liebknecht die passive Haltung Deutschlands gegenüber dem verbündeten Osmanischen Reich nach den Verbrechen an den Armeniern und den Aramäern (1915/16) scharf kritisierte. Nachdem er 1917 eine Friedens-Resolution des Reichstags vorbereitet hatte, ernannte ihn die Reichsregierung zum Leiter der Waffenstillstandskommission. In dieser Funktion unterzeichnete er das Abkommen von Compiègne, das den Krieg beendete. Obwohl dies auf Bitten des kaiserlichen Militärs geschah, stempelte dieses ihn, erst recht nach seiner Zustimmung zum Versailler Friedensvertrag, zum „Erfüllungspolitiker“ und Hassobjekt rechtsradikaler Kreise. Nachdem er 1919 Mitglied der Nationalversammlung geworden war, berief ihn der sozialdemokratische Reichskanzler Gustav Bauer zum Finanzminister. Die Regierung amtierte nur neun Monate (Juni 1919- März 1920), aber Erzberger gelang in dieser Zeit eine grundlegende Reform des Steuerrechts (Erzbergersche Finanzreform), die bis heute fortwirkt; von der Schaffung reichseinheitlicher Steuertarife über eine progressive Ausgestaltung der Einkommenssteuer (10-60%) und der Implementierung sozialer Elemente in das Steuerrecht (Freibeträge für alle Familienmitglieder) bis zur Einführung von Körperschafts- und Kapitalertragssteuer.
Am 26. August 1921 wurde Erzberger bei Bad Griesbach im Schwarzwald von Mitgliedern eines rechtsradikalen Mordkommandos (Organisation Consul) aus einem Hinterhalt erschossen.
Obwohl Erzberger der nach Stresemann bedeutendste Politiker der Weimarer Republik sein dürfte, gibt es in kaum einer deutschen Stadt eine nach ihm benannte Straße, auch in Berlin nicht. Offenbar liegt das daran, dass Erzberger lange in rechtsradikalen Kreisen, besonders unter den Nationalsozialisten, wegen seiner Unterschriften unter Waffenstillstandsabkommen und Friedensvertrag als Verräter galt und unterschwellig bis heute gilt.
Der Name Erzbergers würde den ehemaligen Nettelbeck-Platz zieren.