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Politik und Pflege oder: Wenn Applaus zur symbolischen Backpfeife wird

Personal in der Pflege Ich gehöre zur Altersgruppe der 26- bis 49-Jährigen.

Wir haben sie alle noch im Ohr. Die Reden unserer Politiker über "echte Helden", "wahre Leistungsträger", "systemrelevante Berufe". Während der Corona-Krise konnte man den Eindruck bekommen, Gesundheitsminister Jens Spahn und seine Kollegen hätten wunde Hände vom Applaudieren und ihre pathosgeschwängerten Sonntagsreden schienen wie aus einem (schlechten) Kitsch-Streifen.

Und dann die Forderungen nach Prämien und (endlich) gerechter Bezahlung von Pflegekräften. Fast konnte man den Eindruck gewinnen, den politisch Verantwortlichen aus Bund und Ländern sei es wirklich ernst, dem Pflegeberuf die gesellschaftliche und monetäre Anerkennung zu verschaffen, den er verdient.

Fast.

Denn etwas mehr als drei Monate später hört man nichts mehr. Keinen Applaus aus dem Bundestag, keine Reden über den Wert der Pflege und der dort arbeitenden Menschen. Denn nun, wo es ernst wird, wollen Spahn & Co. nicht mehr erinnert werden an ihre Worte aus dem Frühjahr. Pflegeprämie? Ja, vielleicht, wenn die Arbeitgeber und Länder mitspielen und wenn, dann zunächst auch erst einnal nur für Leute, die in der Altenpflege tätig sind. Gerechter Lohn? Faire und bessere Arbeitsbedingungen? Steigerung der Attraktivität der Pflegeberufe? Nichts. Stille. Schweigen.

Und dieses Schweigen der Politiker ist laut. Und es hallt im leisen Echo der rührseligen Parlamentsapplaudierer ein enormer Schwung Hohn nach. Wie schnell doch die Politik zur Stelle war, als es darum ging, große Unternehmen finanziell zu untersatützen. Neun Milliarden Euro allein für die Lufthansa. Klar, dort waren auch Arbeitsplätze gefährdet. Und die Vorsitzende der SPD, Saskia Esken, wird vermutlich einwerfen, dass auch anderen Arbeitnehmern geholfen werden muss. Möglicherweise wird sie ähnlich zynisch argumentieren wie vor einigen Tagen, als sie darauf verwies, dass, wenn man eine Corona-Prämie an Pflegende auszahlen würde, man dies doch auch bei VerkäuferInnen im Einzelhandel tun müsse. Mal davon abgesehen, dass dies ein mieser Versuch ist, Berufsgruppen untereinander auszuspielen, sei die Frage erlaubt:"Ja, wo ist das Problem, Genossin?"

Die Diskussionen um die Prämie, die unterschiedliche Handhabung in den einzelnen Bundesländern zeigt vor allem eines wieder deutlich: die Pflege im Speziellen, soziale Tätigkeiten im Allgemeinen, haben weiterhin kaum eine Lobby. Wo sind denn die Spahns, Söders, Laschets jetzt? Wo sind klare Vorschläge und Konzepte um den Pflegeberuf attraktiv zu machen? Wo sind klare Vorgaben für anständige Personalschlüssel und gerechte Bezahlung?

Wir leben in einem Land, in dem Du von der Politk weit mehr Anerkennung erfährst, wenn Du 80kg Stahl bewegst, als wenn Du 80kg Mensch hebst. Wir leben in einem Land, in dem Politik (und wohl auch weite Teile der Gesellschaft) meinen, eine Runde Applaus auf dem Balkon reiche aus, um denjenigen, die mit jungen, alten, kranken, behinderten Menschen arbeiten, sie pflegen, sie betreuen, sie bilden, sie in Krisen auffangen und im Alltag unterstützen, zu zeigen, dass man diese Tätigkeit anerkennt.

In Berlin gibt es nun den "Dialog Pflege 2030". Hier darf man sich äussern, wie man sich ideale Pflege in zehn Jahren vorstellt. Es gibt (Online) Veranstaltungen und Umfragen. Angeblich will der Senat die Beiträge und Meinungen auswerten. Glaubt wirklich jemand ernsthaft daran, dass Politik auf Menschen hört, die "vom Fach" kommen? Ist wirklich jemand der Meinung, Wünsche und Kritik, Forderungen und Aufrufe bringen politisch Veranwtoertliche dazu, das Schiff "Pflege" doch noch am Eisberg vorbei steuern zu können? Dazu müsste man von der Politik ernst genommen werden. Und genau da fängt das Problem an- PflegerInnen, ErziehrInnen, LeherInnen, SozialarbeiterInnen, Menschen, die mit Menschen arbeiten benötigen einen Diskurs auf Augenhöhe. Und der ist in meinen Augen mit den momentan handelnden Personen nicht gegeben (dazu, mit Verlaub, hätte es die Pandemie nicht gebraucht).

Vor vielen Jahren hat Bundeskanzlerin Angela Merkel einmal gesagt, Pflegekräfte seien die "stillen Helden unserer Gesellschaft". Es wird Zeit, diese Stille zu beenden.

 

PatrickN75 erstellt am
Referenznr.: 2020-06304

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