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Wo sind all die Autos hin. Wo sind sie geblieben?

„Wo sind all die Autos hin. Wo sind sie geblieben?“ Dies mag man sich fragen, wenn man sich die meisten Kommentare hier liest, aber auch wenn man sich die Präsentation auf der Infoveranstaltung ansieht. Die einzige reale Darstellung zeigt der Hintergrund auf Folie 26, nämlich dass da von 7 bis 21 Uhr praktisch alles voller Autos ist.

Dafür ist die Vordergrundinformation der Folie 26 leicht an den Realitäten vorbei: Eine Straßenbahn vom Typ Flexity 8GT-ZR, wie diese auf der Strecke eingesetzt werden soll, hat 64 Sitzplätze (https://unternehmen.bvg.de/index.php?section=downloads&download=573) . Ein Doppelstockbus vom Typ MAN A39, wie er auf der heutigen Linie M48 eingesetzt wird, hat 83 Sitzplätze (https://unternehmen.bvg.de/index.php?section=downloads&download=579). Wenn man dem Autofahrer ein Angebot machen will, sollte man nicht mit dem Argument einer überfüllten Straßenbahn in der sich 4 stehende Personen einen Quadratmeter teilen müssen operieren. Mit den oben genannten Sitzplätzen sehen die Verhältnisse etwas anders aus.

Die Straßenbahn soll vom Alex zum Potsdamer Platz verlängert werden. Dazwischen sollen 7 Haltestellen bedient werden. Zwischen Alex und Potsdamer Platz fährt bereits ein Schienenverkehrsmittel, nämlich die U2, welche 6 Zwischenhalte bedient. Früher nannte man dies Parallelverkehr, welchen es zu vermeiden gilt. Heute ist dies wohl anders, oder? Wer die U2 kennt, weiß dass hier dringend Entlastung notwendig ist. Die einfachste Form der Entlastung wäre die Verdichtung des Taktes, z.B. auf 3 Minuten. Dies ließe sich weit weniger aufwändig bewerkstelligen. Eine weitere Entlastung für die U2 auf dem Abschnitt wird auch die Verlängerung der U5 bringen. Es wäre wirklich schön, wenn diese so schnell wie möglich kommt.

Von S Hohenschönhausen zum S+U Alexanderplatz fährt man heute 32 Minuten (https://www.bvg.de/images/content/linienverlaeufe/LinienverlaufStrassenbahnM4.pdf). Verlängert man die Straßenbahn zum Potsdamer Platz, so kommen noch ca. 11 Minuten dazu, was insgesamt eine Reisezeit von 43 Minuten ergibt, immerhin ohne Umsteigen. Eine um zwei Minuten schnellere Verbindung ist mit zweimaligem Umsteigen über die S-Bahn bereits heute möglich. Eine um zwei Minuten langsamere Verbindung mit einmaligem Umsteigen existiert heute bereits. Für Nutzer der Öffentlichen Verkehrsmittel entfällt also ein Umstieg, es erhöht sich somit der Komfort (falls man 30-40 Minuten Stehen in der Straßenbahn als Komfort bezeichnen möchte). Dieser Entfall des Umsteigens soll aber jetzt wie viele Autonutzer zum Umsteigen auf den Öffentlichen Verkehr anregen? Und damit kommen wir wieder zum Ausgangspunkt zurück.

Die Verlängerung der M4 wird nur sehr begrenzt zu einem Rückgang des Kfz-Verkehrs in der Leipziger Straße beitragen. Diejenigen, die an der Leipziger Straße wohnen, haben/ fahren eher weniger Auto. Diejenigen die in die Leipziger Straße wollen, fahren dahin heute schon mit den Öffentlichen. Und trotzdem fahren in der Leipziger Straße durchschnittlich jeden Tag 45.000 Kfz unter der Woche. Die meisten wollen da einfach durch, weil die Straße eine Bundesstraße ist und es nur wenige Alternativen dazu gibt. Wo also sollen die Autos hin? Die stauen sich dann einfach ab Leipziger Platz einerseits und Spittelmarkt andererseits und gut ist? Oder gibt es dafür auch eine Lösung?

Da ich Experte für Milchmädchenrechnungen bin, hier ist eine: Nehmen wir an der Kfz-Verkehr geht zurück und es wollen nur noch 40.000 Kfz pro Tag durch die Leipziger Straße. Wer die Straße kennt, weiß dass es da von 6 Uhr morgens bis 20 Uhr abends (14 Stunden) immer voll ist. Nehmen wir an, dass in diesen 14 Stunden etwa 85% des Tagesverkehrs fahren, so sind dies etwa 6% des Tagesverkehrs pro Stunde. Morgens fahren etwas mehr Fahrzeuge nach Westen, also sagen wir 7% und etwas weniger nach Osten also sagen wir 5%. Abends ist es anders herum. 7% von 20.000 Kfz sind 1.400 Kfz in einer Stunde welche morgens von Ost nach West und abends von West nach Ost wollen. Die übliche Umlaufzeit einer Ampel in Berlin hat 90 Sekunden. Die Straße ist 22 Meter breit. Die übliche Räumgeschwindigkeit für Fußgänger wird mit 1,2m/s (https://de.wikipedia.org/wiki/Schrittgeschwindigkeit) angesetzt. Fußgänger benötigen somit 18 Sekunden, um die Fahrbahn zu räumen. Das Fußgängermindestgrün beträgt 5 Sekunden, die Gelbzeit für Kfz beträgt 3 Sekunden, Rot/Gelb ist in Berlin üblicherweise 2 Sekunden. Der Radfahrer bekommt ein vorzeitiges Grün von 1 Sekunde. Hiermit verbleiben maximal 61 Sekunden Grünzeit für den Kfz-Verkehr. Bei 40 Umläufen pro Stunde und einer Fahrzeugfolgezeit von 2 Sekunden schaffen es also nur 1.220 Autos über die Kreuzung. Und zwar auch nur dann, wenn alle geradeaus fahren. Sobald jemand links oder rechts abbiegen will schaffen es noch weniger. Selbst unter idealisierten Bedingungen und ohne Straßenbahn ist die Abwicklung des Kfz-Verkehrs mit nur einer Fahrspur nicht möglich. Wie soll das dann mit Straßenbahn funktionieren?

Und dann ist da noch der Radverkehr. Dieser dürfte sich bei entsprechendem Angebot auf der Relation glatt verdoppeln. Insbesondere für Touristen dürfte dies eine interessante Route werden. Damit kommt der übrige Verkehr dann komplett ins Stocken. Ist es das, was gewollt ist? 

Wie also sähe eine Lösung aus? Zur Verbesserung im Öffentlichen Verkehr wäre der Takt auf der  U2 zu verdichten und dei U5 so schnell als möglich fertig zu bauen. Damit der Autoverkehr in Ost-West-Relation nicht durch die Innenstadt muss, braucht es entsprechende Alternativen in Form von leistungsfähigen Stadtringen. Der innere Ring müsste leistungsfähiger werden, der mittlere Ring wäre zu vervollständigen. Für den Radverkehr ist ein entsprechendes Netz an Fahrradstraßen zu entwickeln, aber bitte nicht entlang von Straßen, welche schon mit Kfz hoch belastet sind. 

mary-lu erstellt am
Referenznr.: 2019-04539

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