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Gemeingut zur Entwicklung einer zukunftsfähigen urbanen Lebensweise für alle

Partizipation / Demokratie

Der Tempelhofer Flughafen - eine einmalige Chance für Berlin

Die Stadt der Zukunft muss deutlich anders funktionieren als die der Gegenwart: Die heutigen Versorgungsstrukturen sind weder mit den Klimazielen noch mit den sozialen Entwicklungszielen der UNO 2030 (Social Development Goals - SDGs) vereinbar. „Erfolg oder Misserfolg der Arbeit an den SDGs wird entscheidend davon abhängen, ob die wirtschaftlich reichen Länder diese Herausforderung wirklich ernst nehmen,“ schreibt die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen.

Wie aber sieht eine attraktive, für alle lebenswerte und zugleich nachhaltige und klimaschonende Lebensweise aus, die nicht mehr auf Kosten von Menschen in anderen Weltregionen und der Natur geht? Sicher muss sie stark dezentral organisiert sein. Es gilt außerdem, möglichst wenig Rohstoffe unwiderbringlich zu verbrauchen, sondern Ressourcen immer wieder neu zu verwenden. Strukturelle Veränderungen bei Wasser/Abwasser, Energieversorgung und -einsatz sowie Transport und Bauen/Sanieren sind notwendig.

Wie kann das konkret funktionieren? Und wie lässt sich erreichen, dass die Bevölkerung die notwendigen Veränderungen nicht nur akzeptiert, sondern aktiv mitträgt und gestaltet?

Für alle Aspekte gibt es sowohl theoretische Konzepte als auch konkrete Umsetzungsbeispiele. Was jedoch fehlt ist ein Ort, an dem urbane Wechselwirkungen ausprobiert und erforscht werden und eine nachhaltige Stadtkultur durch die Kooperation ihrer vielfältigen Bewohner und Institutionen gezielt gefördert wird. Berlin hat mit dem Tempelhofer Flughafen eine einmalige Chance: Das Gebäude ist so groß, dass hier vieles mit- und nebeneinander entstehen und in seiner Vernetzung erprobt und weiterentwickelt werden kann.

Die Initiativgruppe thf.vision schlägt deshalb vor, einen Experimentier-, Praxis-, Bildungs- und Forschungsort einzurichten, der als Gemeingut organisiert ist. Nicht Profitorientierung, sondern eine friedliche und dauerhaft tragfähige Stadtentwicklung sollen das Leitbild sein. In Themenhöfen – zum Beispiel zu Ernährung, Produktion, Demokratie und Frieden, Gesundheit – arbeiten Betriebe, Initiativen, Wissenschaftler*innen und Bürger*innen eng zusammen. Durch die örtliche Nähe haben sie aber zugleich enge Verbindungen zu den anderen Bereichen und sind selbstverständlich auch im permanenten internationalen Austausch.

Die Bewohner*innen Berlins sollen ebenso mitwirken wie die zahlreichen Institutionen und Organisationen in der Stadt, die sich mit Zukunft beschäftigen. Von Anfang an sind auch internationale Kooperationspartner einzubeziehen. An einer UN-Hochschule zur Umsetzung der SDGs könnten Bildung und Forschung in enger Kooperation mit der Praxis stattfinden, sich gegenseitig vorantreiben und neue Methoden entwickeln. Bildung sollte ebenso wie Kultur in dem Projekt einen ganz zentralen Stellenwert bekommen, und auch Wohnen ist hier möglich.

Bei der Finanzierung ist über Konzepte hinauszudenken, die Nutzende vor allem als Zahlende von Mieten begreift. Der Weg ist unbekanntes Terrain und kann nicht allein aus dem Berliner Haushalt bezahlt werden. Ein umfassendes Konzept eröffnet jedoch auch Fördermöglichkeiten u.a. auf Bundes-, EU- und UN-Ebene. Unbestritten ist auch, dass sich in Soziales und Bildung investierte Mittel mehrfach auszahlen. Ziel muss sein, dass sich die Nutzung des tempelhofer Flughafengebäudes auf lange Sicht selbst trägt – nur so kann eine nachhaltige Stadt aussehen.

Die Erfahrungen, die am Zukunftsstandort Tempelhof gesammelt werden, sollten mit aller Welt geteilt werden. Das würde auch der Symbolik des Ortes entsprechen: Hier landeten 1948/49 die Rosinenbomber und brachten 2,2 Millionen Berliner*innen alles Überlebensnotwendige. Nun hat die Stadt die Chance, der Welt einen Teil ihrer Potenziale zurückzugeben.

 

Konkret anfangen

Die Initiativgruppe thf.vision schlägt vor, mit dem Themenhof Ernährung zu starten. Das Thema betrifft nicht nur den Alltag aller Menschen und sehr vieler Unternehmen – es ist auch hochrelevant für die Entwicklung von tragfähigen, generationen-übergreifenden Lebens- und Wirtschaftsweisen. Produktion, Verarbeitung, Verteilung, Erwerb, Zubereitung und Entsorgung von Lebensmitteln sind heute für rund ein Drittel des ökologischen Fußabdrucks von Städter*innen verantwortlich.

Starten möchten wir deshalb mit einer professionellen Küche, einem Speisesaal und Räumen für Treffen, Kultur und Büroarbeit. Von da aus gestalten wir partizipativ den ersten Themenhof „Ernährung“ entsprechend der SDGs. .Eine Küche eröffnet die Möglichkeit, vielfältige Personen und Gruppen einzubeziehen. Lebensmittelretter*innen können gutes Essen kochen, Senior*innen ihr Wissen über regionale und saisonale Lebensmittelangebote weitergeben, Migrant*innen und Zufluchtsuchende Spezialitäten ihrer Herkunftsländer zubereiten. Kochkurse für Kinder, Obdachlose und Menschen mit Allergien sind hier ebenso möglich wie gemeinschaftliches Kochen von Menschen aus der Nachbarschaft. Der multifunktional einsetzbare Speiseraum öffnet niederschwellig den Zugang zum bisher unbelebt wirkenden Gebäude: Ein Mittagstisch lockt Menschen an aus der Nachbarschaft, neugierige Berliner*innen, Tourist*innen und Beschäftigte der im Gebäude ansässigen Polizei. Thematische Abendessen und Genuss-Festivals bieten sowohl die Chance gezielter Vernetzung als auch zufälliger Begegnungen von Menschen, die sonst keinen Austausch miteinander praktizieren. Anders als in Restaurants und Kantinen üblich kann es flexible Preise geben.

Der Innenhof hinter H2 rund und G2 ist ein geschützter und grüner Bereich, in dem sich Kistengärten, Hochbeete oder ein Weltacker anlegen lassen. Bienenstöcke, Aquakulturanlagen zur Produktion von Fischen und Gemüse können hier oder auf den anliegenden Dächern platziert werden. Um fruchtbaren und ertragreichen Humus zu gewinnen, werden die Küchenabfälle zu Terra Preta-Substraten verarbeitet. Auch die Stoffströme von Trenn-Toiletten, mit denen das Gebäude sukzessive ausgestattet werden, ermöglichen eine Schließung von Stoffkreisläufen nach dem Vorbild der Natur. In den Kellergewölben können Pilze gezüchtet, Lebensmittel verarbeitet und eine gemeinschaftliche Nutzung z. B. von Honigschleudern und professionellen Saftpressen organisiert werden. Ein Großteil der Lebensmittel sollte aus der Region Berlin-Brandenburg stammen und innerstädtisch mit Lastenrädern und damit klimaneutral transportiert werden. Elemente unserer urbanen resilienten Ernährungsstrategie gibt es an verschiedenen Standorten in Deutschland und der Welt. In der Kombination, Dimension und Vernetzung an einem Ort wäre das prototypische Projekt jedoch einzigartig.

Auch die Energieversorgung und das Stoffstrommanagement des Flughafengebäudes lassen sich nach unserer Überzeugung, Erfahrung und technischem Wissenstand selbstverständlich dezentral, nachhaltig und transparent gestalten. Viele Projekte, Organisationen und Institutionen in Berlin beschäftigen sich seit langem mit nachhaltigem Sanieren und dem erforderlichen Paradigmenwechsel bei Infrastruktursystemen. Diese miteinander in Resonanz zu bringen und Innovator*innen aus aller Welt anzulocken, ist unsere Interpretation eines „Kunst-, Kultur- und Kreativstandorts“.

Wir hoffen, den Berliner Senat und das Abgeordnetenhaus zu überzeugen und sie als Mitstreiter und Unterstützer zu gewinnen. Wichtig ist uns ein kooperatives Vorgehen und die Erarbeitung eines gemeinsamen Verständnisses, damit sich die thf.vision an diesem Standort entwickeln kann.

Initiativgruppe Tempelhof als Gemeingut thf.vision

AJensen erstellt am
Referenznr.: 2017-00452

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