Mit dem vorliegenden Rahmenkonzept bekommt Berlin erstmals seit 1984 wieder ein Entwicklungskonzept für sein Öffentliches Bibliothekswesen. Erarbeitet in einem partizipativen Prozess beschreibt es den Stand des Öffentlichen Bibliothekswesens in der deutschen Hauptstadt und die notwendigen Schritte, um mittelfristig zur Spitze der deutschen Großstadtbibliotheken aufzuschließen. Neben der Beleuchtung der wesentlichen gesellschaftlichen Megatrends und einer darauf basierenden neuen Aufgaben- und Funktionsbeschreibung für die Bibliotheken werden darin zugleich notwendige Standards für den In- und Output der Bibliotheken beschrieben und die für den Wandlungsprozess benötigten Ressourcen in personeller, technischer und finanzieller Hinsicht aufgezeigt.
Die vorgeschlagenen Maßnahmen gehen dabei über Maßnahmen zur Reparatur von Kürzungsschäden der letzten 25-30 Jahre weit hinaus. Ähnlich grundlegenden Paradigmenwechseln in anderen Politikfeldern, wie Energie oder Verkehr, geht es um eine Neuausrichtung des Öffentlichen Bibliothekswesens Berlins. Das Rahmenkonzept macht deutlich, dass zu einer funktionsfähigen städtischen Infrastruktur zwingend auch leistungsfähige Bibliotheken gehören. Nur mit den erforderlichen Investitionen in das öffentliche Bibliothekswesen wird die Chance auf gleiche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und an den technologischen Entwicklungen für alle Bürgerinnen und Bürger der Stadt eröffnet. Verbindliche Standards innerhalb des Landes Berlin können für eine flächendeckende Qualitätssicherung sorgen und eine landesweite Informationsversorgung auf hohem Niveau sichern.
Die oben umrissenen grundlegenden Modernisierungs- und Ausbauschritte sowie weitere Maßnahmen z.B. in Sektoren, die bislang weniger bearbeitet wurden, werden den Einsatz beträchtlicher öffentlicher Mittel erforderlich machen.[71] Angesichts der sich aktuell erst abzeichnenden großen, nicht zuletzt finanziellen Herausforderungen im Umgang mit den Aus- und Nachwirkungen der Corona-Krise, wird für diese Anstrengungen politisch ein längerer Atem benötigt, als dies zu Beginn des Prozesses abzusehen war. Umso wichtiger erscheint es, wesentliche Grundlagen, Erkenntnisse und Schlussfolgerungen politisch in einem Gesetz zu sichern und auf diese Weise ein Mindestmaß an Planungssicherheit zu schaffen.
Eine gesetzliche Fixierung bestimmter Kernaussagen des Rahmenkonzepts bedeutet jedoch nicht die Beendigung der Arbeiten für konzeptionelle Überlegungen zur Entwicklung des Bibliothekswesens. Vielmehr wird es im Gegenteil zu den Kernelementen eines Bibliotheksgesetzes gehören müssen, dass die Entwicklung des Bibliothekswesens künftig wie in anderen Bereichen dauerhaft und kontinuierlich Gegenstand planerischen Handelns sein muss.[72] Auch wurde oben bereits an mehreren Stellen deutlich gemacht, dass mit dem vorliegenden Bericht lediglich eine erste Etappe endet, der sich weitere Planungsschritte anschließen müssen insbesondere im Hinblick auf Aspekte bzw. Sparten des Bibliothekswesens, zu denen noch nicht mit der gebotenen Intensität gearbeitet werden konnte (z.B. Schulbibliotheken, wissenschaftliche Bibliotheken). Erstarrung und Stillstand darf es aber auch deshalb nicht geben, weil sich Berlin und seine Bevölkerung stetig weiter verändern (z.B. älter und diverser werden), weil Megatrends wie die Digitalisierung, die Globalisierung oder der Klimawandel voranschreiten und permanent neue Entwicklungsbedarfe auch im Bibliothekswesen erfordern und weil nicht zuletzt immer wieder auch Unvorhergesehenes passiert (z.B. die Covid-19-Pandemie und die nie dagewesenen Maßnahmen zu ihrer Eindämmung). Eine gesetzliche Grundlegung der Fortführung und Erweiterung des Planungshandelns muss daher von der regelmäßigen Überprüfung der Umsetzungsfortschritte und entsprechend der Fortschreibung sowie der Aktualisierung der Planung begleitet sein. Wobei alles dies nur sinnvoll erscheint, wenn eine mindestens mittelfristig verlässliche Planbarkeit von finanziellen und personellen Ressourcen gegeben ist.
Öffentliche Bibliotheken leisten – wie oben ausgeführt – so vielfältige Beiträge zu Entwicklungen in anderen Bereichen bzw. Politikfeldern wie wohl kaum eine andere Kultureinrichtung. Die seit Jahren steigende Nachfrage von derzeit 9,5 Mio. physischen Bibliotheksbesuchen pro Jahr durch die Berlinerinnen und Berliner belegt den exzeptionellen Status als meist genutzte Berliner Kultureinrichtung. Nicht zuletzt sind sie und ihre Serviceangebote ein unverzichtbarer Eckstein des Systems der formalen und nichtformalen Bildung. Als Bedingungsfaktoren der Informations- und Meinungsbildungsfreiheit und offene Orte eines aufgeklärten gesellschaftlichen Diskurses spielen die Öffentlichen Bibliotheken Berlins für die Attraktivität und Zukunftsfähigkeit Berlins eine unverzichtbare Rolle.
Die Berliner Bevölkerung braucht eine verlässliche Perspektive für die von ihr benötigten Bibliotheksangebote im Sinne einer gesetzlichen Regelung, die die Bibliotheksaufgaben für die Gesellschaft, ihren Betrieb als ebenso wohnortnahe wie leistungsfähige Einrichtung durch die Bezirke sowie ihre Finanzierung als Pflichtaufgabe des Landes Berlin und seiner Bezirke festschreibt.
Angesichts der Erfahrungen aus den vergangenen gut 30 Jahren, die in weiten Teilen durch einen massiven Abbau bibliothekarischer Infrastruktur gekennzeichnet waren, erscheint die rechtliche Absicherung der Bibliotheken durch ein Bibliotheksgesetz als logischer nächster Schritt der politisch gewünschten Entwicklungsplanung für die Kultur- und Bildungsinstitution Bibliothek. Die Verständigung über ein Bibliotheksgesetz wäre manifester Ausdruck des politischen Willens Berlins, seine Öffentlichen Bibliotheken kraftvoll zu entwickeln und auf diese Weise ihr vielfältiges Potenzial auf bestmögliche Weise zu erschließen.
Die nachfolgend kursorisch ausgeführten Regelungsinhalte sollte ein Berliner Bibliotheksgesetz umfassen. Die Ausformulierung dieser und weiterer Punkte wäre einem Gesetzgebungsverfahren vorbehalten.
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[71] Zu denken ist etwa an das Schulbibliothekswesen, das im Rahmen dieses Konzepts noch nicht bearbeitet wurde.
[72] Dies ist im Übrigen auch eine Voraussetzung für die Berücksichtigung der bezirklichen Bibliotheken im Rahmen der öffentlichen Infrastrukturentwicklung. Vgl. Senatsbeschluss zu einer Strategie zur integrierten Infrastrukturplanung, vgl. Fußnote 29.