Zu den grundsätzlichen Strukturfragen des VÖBB gibt es sehr unterschiedliche Perspektiven. Zum einen ist die Verteilung der Aufgaben zwischen Senat und Bezirken rechtlich festgelegt, zum anderen gibt es unterschiedliche Auffassungen der Beteiligten über Vor- und Nachteile einschichtiger Bibliothekssysteme, wie sie sonst in deutschen Großstädten üblich sind, und deren Übertragbarkeit auf Berliner Verhältnisse. Vor diesem Hintergrund beschränkt sich dieser Bericht auf einen pragmatischen Lösungsansatz zur Behebung von Problemen innerhalb der aktuell geltenden Rahmenbedingungen. Überlegungen und Konzepte für eine grundsätzliche Neuordnung des VÖBB und seiner Bibliotheken, z.B. in einer neuen, gemeinsamen Rechtform bzw. Trägerstruktur, können und sollten zu einem späteren Zeitpunkt neu erarbeitet bzw. wieder aufgegriffen werden.
Als pragmatischer Lösungsansatz für aktuelle Probleme in der Steuerung des VÖBB bietet sich ein Modell zur Entflechtung und Effektivierung von Steuerung und Finanzierung an.
Ausgangslage
Zur gemeinsamen Erledigung der betrieblichen Gemeinschaftsaufgaben haben sich 2004 die für Kultur zuständige Senatsverwaltung, die Stiftung Zentral- und Landesbibliothek Berlin und die zwölf Bezirke in einer Verwaltungsvereinbarung[69] auf die Errichtung des Verbundes der Öffentlichen Bibliotheken Berlins verständigt. Zur Erledigung der vereinbarten, vor allem IT-bezogenen Aufgaben wurde das Verbundservicezentrum (VSZ) eingerichtet und an der ZLB angesiedelt. Das VSZ betreut auch das digitale Verbundsystem der Bibliotheken mit allen Modulen von der Erwerbung bis zum OPAC und Mahnwesen und fungiert zugleich als Bereitstellungs- und Betreuungsinstanz für die digitalen Content-Angebote. Zugleich erbringt die ZLB für den VÖBB zentrale, nicht-IT-bezogene Dienstleistungen, z.B. das Angebot eines gemeinsamen Mahnwesens, konzeptionelle Entwicklungsplanungen und deren Koordination inkl. Umsetzungsmaßnahmen.
Aktuell unterliegen fast alle wesentlichen zentralen Services im Verbund einer verpflichtenden bezirklichen Gemeinschafts- bzw. Ko-Finanzierung. Unter anderem deshalb sind die föderalen Gremien des Verbunds zu nahezu allen Entwicklungsthemen der öffentlichen Bibliothekslandschaft zwingend am Entscheidungsprozess beteiligt. Dabei führen unterschiedliche politische Bewertungen und – vor allem hinsichtlich der Ressourcen – unterschiedliche Priorisierungen sowie Finanzierungsbereitschaft und -fähigkeit in den Bezirken des Öfteren zu erheblichen Verzögerungen von Prozessen und Entscheidungen. Das betrifft auch Entwicklungsvorhaben für landesweit verbindlich organisierte bibliothekarische Funktionsbereiche (unabhängig von der Befürwortung und Priorisierung durch die Fachebene). Entwicklungs- und investitionsbereite Verbundteilnehmer/Bibliotheken werden so in ihrer Entwicklung teilweise erheblich ausgebremst. Die VÖBB-Bibliotheken drohen dadurch immer wieder „abgehängt“ zu werden von in der Bibliothekswelt üblichen Entwicklungen. Dies betrifft insbesondere solche Entwicklungen, die von Entscheidungen über die Fortführung, Weiterentwicklung bzw. den Wechsel von Basis-Technologien im VÖBB abhängen.
Auch Projekte mit vollständiger Landesfinanzierung müssen derzeit alle Entscheidungsebenen der föderalen Struktur durchlaufen, das heißt, das Land als Finanzier ist bei Entscheidungen zu diesen Projekten unterrepräsentiert.
Zielstellung für den Verbund
- Essentielle bibliothekarische Basisfunktionen, insbesondere IT-technischer Natur (Netz, Geräte, Bibliothekssoftware, Wartung, Support usw.), sollen für alle VÖBB-Bibliotheken schneller als bisher erneuert und weiterentwickelt, auf einem zeitgemäßen Standard gehalten und gesichert bereitgestellt werden.
- Diesbezügliche Entscheidungen und Entwicklungen sollen beschleunigt werden.
- Die Entwicklung der Verbundbibliotheken soll durch Erstellung entsprechender fachlicher Konzepte und Bereitstellung darauf basierender Services verstärkt Impulse erfahren und unterstützt werden.
Lösungsansatz: Entflechtung der Finanzierungsstrukturen bei gleichzeitiger Stärkung der Entscheidungskompetenzen der jeweiligen Finanzträger
- Essentielle bibliothekarische IT-technische Basisfunktionen sollten zukünftig ausschließlich über Landesmittel finanziert werden mit entsprechender Zuordnung von Entscheidungskompetenz für diese Themen nach jeweiliger Beratung mit der Ständigen Konferenz. Das vereinfacht/beschleunigt die Steuerung und Realisierung von technologischen Entwicklungsvorhaben und deren landesweite Umsetzung.
- Ausgewählte fachliche Konzepte sowie darauf basierende Services werden an zentraler Stelle erarbeitet/angeboten und können fakultativ durch die Verbundbibliotheken – ggf. durch entsprechende Kostenbeteiligung – genutzt werden.
- Das Lösungsmodell erkennt dabei alle einzelbezirklichen Kompetenzen beim Betrieb der bezirklichen Bibliothekssysteme an, wie z.B. Personalthemen, Standortplanungen, Öffnungszeiten sowie alle weiteren Themen/Fragestellungen, die bezirkliche Folgekosten auslösen bzw. bezirkliche Ämterkompetenzen berühren. Die diesbezügliche dezentrale bezirkliche Steuerungskompetenz bleibt unangetastet.
Umsetzungsmodell – Etablierung von zwei Aufgabenfeldern in einem Service-Zentrum des VÖBB
Aus der zuvor erläuterten neuen Finanzierungs- und Entscheidungsstruktur resultieren zwei unterschiedliche Aufgabenfelder, die in einem Service-Zentrum des VÖBB bzw. dessen Träger angesiedelt werden könnten. Beide Aufgabenfelder gliedern sich jeweils in einen Teilbereich zur verbindlichen Nutzung/Anwendung und in einen zweiten zur fakultativen Nutzung durch die Verbundteilnehmer:
Aufgabenfeld 1
Ein erstes Aufgabenfeld umfasst die Unterstützung bei der Entwicklung von Verbund-Philosophie und -Strategie. Dieses erste Aufgabenfeld wird von den Bezirken und ggf. dem Land ko-finanziert (z.B. Schlüsselung, verbrauchsabhängige Umlage, bei fakultativen Angeboten nutzungsabhängig etc.).
a. Verbindliche Anwendung
Hierzu gehören z.B. die Nutzungskonditionen (Gebührenordnung) im VÖBB, die Verabredung gemeinsamer Service-Standards und Erarbeitung fachlicher Konzepte. Diese Basisunterstützungsleistungen müssen von allen Verbundteilnehmern verbindlich angewendet werden.
b. Fakultative Nutzung
Der zweite Teilbereich betrifft die Durchführung und (Weiter-)Entwicklung von Shared Services und Unterstützungsleistungen für eine freiwillige Nutzung, z.B. Mahnwesen, Entwicklung neuer Services, Fortbildungsprogramme etc.
Aufgabenfeld 2
Ein zweites Aufgabenfeld dient der Sicherstellung der landesweiten zukunftsfähigen technologischen Basis-Infrastruktur. Dieses zweite Aufgabenfeld wird als direkter Zuschuss komplett landesfinanziert.
a. Verbindliche Anwendung/Nutzung durch alle Verbundteilnehmer, z.B.
- RFID (Re-)Investitionen
- LMS (Library-Management-Software inkl. Katalog/Nutzeroberfläche etc.)
- Kommunikationsplattform
- Bibliotheksnetz
- Digitale Welten/E-Medien
- Betriebshaushalt Servicezentrum
- Kauf Bibliotheksausweise
- ggf. weitere technologische Ausstattung
b. Fakultative Nutzung
Im zweiten Teilbereich können weitere fachliche Entwicklungskonzepte und Services landesfinanziert entwickelt werden, deren Umsetzung aber einzelbezirklichen Entscheidungen unterliegen, z.B. bei Auswirkung auf die Betriebskosten (z.B. Makerspaces, Bürgerterminals, Flächengestaltung, Personalentwicklung etc.). Das bedeutet, die Entwicklung dieser Services wäre landesfinanziert, die Umsetzung in den Einzelbezirken jedoch fakultativ.
Steuerung der Aufgabenfelder im Servicezentrum des VÖBB
Die komplette Finanzierung des Aufgabenfelds 2 durch das Land ermöglicht den Bezirken, in den originären bezirklichen Zuständigkeiten beim Betrieb der bezirklichen Bibliothekssysteme (z.B. Personalthemen, Standortplanungen, Öffnungszeiten) verstärkt eigene finanzielle Schwerpunkte setzen zu können. Alle Themen/Fragestellungen und Entscheidungen über Verbundverfahren, die bezirkliche Folgekosten auslösen bzw. bezirkliche Ämterkompetenzen berühren, bleiben in der Steuerungskompetenz der Bezirke, die dezentrale bezirkliche Steuerungskompetenz bleibt unangetastet.
Zugleich wird dem Land/Senat für die von ihm allein finanzierten Aufgaben, insbesondere der Basistechnologie, eine besondere Entscheidungskompetenz mit Beratungsfunktion durch die Bezirke zugeordnet.
Wie die Integration beider Aufgabenfelder in einem Servicezentrum und die genaue Steuerung erfolgen kann, welche Rolle und Entscheidungskompetenzen den Verbundorganen „Stäko“ (Ständige Konferenz der Leiterinnen und Leiter der Öffentlichen Bibliotheken Berlins im VÖBB) und „Verbundkonferenz“ dabei zukommen und ob das Servicezentrum weiterhin durch die ZLB oder zukünftig durch eine andere Organisation betrieben werden soll, wird noch im weiteren Verfahren der Bibliotheksentwicklungsplanung zu klären sein.
Finanzen
In diesem Modell beträgt die durch das Land Berlin sicherzustellende Finanzierung des Servicezentrums und seiner zentralen Aufgaben im Aufgabenfeld 2 (IT Basisfunktionen) ca. 7,5 Mio. Euro pro Jahr. Bereits heute trägt das Land ca. 2,7 Mio. Euro pro Jahr als zentrale Finanzierung zum VÖBB bei, diese würden in der benannten Summe aufgehen.
Weitere Umsetzungsaspekte
Die durch den verstärkten Einsatz von Landesmitteln freiwerdenden bezirklichen Mittel sollen weiterhin der bezirklichen Bibliotheksarbeit zugutekommen. Zwischen den Beteiligten ist verbindlich zu vereinbaren, dass im Gegenzug weder eine Absenkung der Globalsumme für die Bezirke (in Kompensation der erhöhten Landeszuschüsse) erfolgt, noch eine Umwidmung der freiwerdenden Mittel im Bezirk für andere Zwecke.
Die Corona-Krise hat sehr deutlich gemacht, wie hoch der gesamtstädtische Bedarf nach digitaler Unterstützung und Angeboten für breite Bevölkerungsgruppen ist. Dieser Bedarf kann nur von Öffentlichen Bibliotheken erfüllt werden, die IT-technologisch up to date entwickelt sind und stabil betrieben werden können. Die nachhaltige Sicherung dieser IT-technologischen Basis durch entsprechende Strukturen und Finanzierung ist die grundlegende Voraussetzung für eine erfolgreiche Aufgabenerfüllung der Berliner Öffentlichen Bibliotheken im digitalen Leben der Berlinerinnen und Berliner.
Bei der weiteren Ausgestaltung des Modells muss zudem gewährleistet werden, dass eine freiwillig durchgeführte und finanzierte technische Ausstattung über das von der Landesfinanzierung abgedeckte Niveau hinaus in Verantwortung einzelner Bezirke ermöglicht wird.
Das Modell ist grundsätzlich kombinierbar mit modifizierten Finanzierungsmodellen der KLR-gestützten Budgetierung zur Finanzierung der bezirklichen Systeme oder mit Sonderbudgets und -fonds für gezielte Entwicklungsmaßnahmen.
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[69] Verwaltungsvereinbarung zur Organisation und Finanzierung des Verbundes der Öffentlichen Bibliotheken Berlins vom 05.08.2004, Abgeordnetenhaus Berlin, Drs.15/3045.