Die Öffentlichen Bibliotheken Berlins entwickeln sich bereits heute zu wichtigen Netzwerkakteuren in der Stadtgesellschaft. Durch eine noch bessere Steuerung und Vernetzung dieser Aktivitäten können sie ihre Stärken als besonders vielseitige und flexible, inklusive Bildungs-, Kultur- und Integrationsorte gezielt ausbauen und so zur Lösung der Herausforderungen der Metropole Berlin gezielt beitragen.
Neben dieser systematischen Kooperations- und Netzwerkarbeit im Sozialraum und auch im Hinblick auf andere Bibliothekstypen sind vor allem auch eine koordinierte Steuerung auf gesamtstädtischer und bezirklicher Ebene sowie eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit unverzichtbar. Dies wird in den folgenden sieben Punkten näher ausgeführt:
Koordinierte Steuerung auf gesamtstädtischer Ebene
Die Vielseitigkeit der Aufgaben von Öffentlichen Bibliotheken und die damit verbundenen zahlreichen Schnittstellen zu anderen Ressorts erfordern eine enge und abgestimmte Zusammenarbeit aller fachlich beteiligten Senatsverwaltungen. Dies gilt vor allem hinsichtlich der Fragen der gesamtstädtischen Bibliotheksentwicklung, so unter anderem mit Blick auf die Berliner Schulbibliotheken oder auch die Zusammenarbeit wissenschaftlicher und öffentlicher Bibliotheken.
Um allen Berlinerinnen und Berlinern einen dezentralen und insbesondere wohnortnahen Zugang zu den Angeboten und zum Raumangebot der Bibliotheken zu eröffnen, ist zunächst eine Gesamtbetrachtung der Standortverteilung im Berliner Stadtraum, die Auskunft über bestehende Versorgungslücken gibt, dringend geboten.
Mit Hilfe eines solchen Standortgutachtens ließe sich identifizieren, wo neue Standorte sinnvoll unterstützend anzusiedeln wären oder ggf. mobile Bibliotheksangebote eingerichtet werden sollten.
Integrierte Planung und Kooperation auf Bezirksebene
Nicht nur in gesamtstädtischer Hinsicht, sondern auch auf Bezirksebene erfordert die Vielfalt der Bibliotheksaufgaben eine kontinuierliche und systematische Zusammenarbeit der Stadträtinnen und Stadträte, Ämter und Serviceeinheiten.
Besondere fachliche Schnittstellen gibt es zwischen den Einrichtungen der Kultur und Weiterbildung, dem Bildungsbereich, dem Bereich der Jugendarbeit und dem Sozialbereich.
Die Planung neuer Standorte wie auch Vorhaben zum Ausbau bestehender Standorte sollte auf der Grundlage der Ergebnisse des Monitorings Soziale Stadtentwicklung und orientiert an den vorhandenen Strategien und Stadtentwicklungsprogrammen (z.B. SIKo, SIIP, Sozialer Zusammenhalt etc.) erfolgen, die einen systematischen Bezug auf Bezirke und Sozialräume ermöglichen. Insbesondere bei der Entwicklung neuer Stadtquartiere sollte künftig stärker als bisher berücksichtigt werden, neben der Planung von Schul- und Kita-Plätzen auch die soziokulturelle Infrastruktur und damit die Zugänglichkeit zu Bibliotheksdienstleistungen und Angeboten der kulturellen Bildung einzubeziehen.
Bauvorhaben, bei denen verschiedene Kultur- und Weiterbildungseinrichtungen und z.B. Einrichtungen der Jugend- und Integrationsarbeit unter einem Dach geplant werden sollen, benötigen als Grundlage bereits für die Bauplanung inhaltliche Konzepte, die die Chancen für eine vertiefte Zusammenarbeit berücksichtigen und bereits in der Planungsphase ein integrierendes Management vorsehen.
Bezugsraumbezogene Netzwerke und Kooperationen
Öffentliche Bibliotheken sind in besonderem Maße geeignet, in ihren Sozialräumen zu Knotenpunkten der stadtgesellschaftlichen Netzwerkarbeit zu werden. Sie sind insbesondere aufgrund ihrer hohen Bedeutung für Bildungs- und soziale Teilhabe wichtige Akteure, Partner und Infrastrukturen bei der Stärkung von sozial benachteiligten Quartieren. Die systematische Zusammenarbeit der Öffentlichen Bibliotheken Berlins mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, Initiativen, Beratungseinrichtungen, Quartiersmanagement-Vor-Ort-Büros, Stadtteilzentren, Behörden, Wohnungsbaugesellschaften usw. eröffnet der Stadt Chancen für die Weiterentwicklung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und die Erhöhung der Lebensqualität im Sozialraum.
Kooperationen und Netzwerkarbeit sind darüber hinaus wichtige Voraussetzungen für die Bibliothek als Ort für die informierte Demokratie (Democratic Literacy). Die Öffentlichen Bibliotheken können Beteiligungsprozesse zur Stadtentwicklung unterstützen und hierfür mit den beteiligten Senats- und Bezirksverwaltungen zusammenarbeiten. Bei eigenen Angeboten können sie mit Trägern der politischen Bildung und weiteren spezialisierten Kooperationspartnern kooperieren.
Die Kooperations- und Netzwerkarbeit der Bibliotheken erfordert spezifische Fachkompetenzen, die durch gezielte Fortbildung und die Einstellung entsprechenden Fachpersonals geschaffen werden können.
Empfohlen wird hierzu die Entwicklung einer Handreichung für Kooperationen für die Arbeit der Berliner Öffentlichen Bibliotheken.
Zusammenarbeit mit Einrichtungen der frühkindlichen und schulischen Bildung
Die Zusammenarbeit von Bibliotheken mit Kindertageseinrichtungen und Schulen hat ein hohes Potenzial. Die Erfahrungen, die Kinder in Bibliotheken gewinnen, fördern die Selbstlernkompetenzen und führen im Erwachsenenalter zu einem höheren Interesse an Bibliotheken.[64] Daher ist es grundlegend, die bereits in breitem Maße praktizierte Zusammenarbeit mit Kindertageseinrichtungen und Grundschulen permanent auszubauen und zu entwickeln, sowie Angebotsformate zur frühkindlichen Sprachförderung, Lese- und Lernförderung sowie zur Vermittlung von Digital Literacy für alle Phasen der frühkindlichen und schulischen Bildung in großem Umfang anzubieten.
Mit Blick auf die Lese- und Lernangebote werden folgende Maßnahmen vorgeschlagen:
- die Erarbeitung eines bibliothekspädagogischen Rahmenplans für die verbindliche Bereitstellung von Sprach- und Leseförderangeboten in allen Bezirken bzw. an allen Standorten
- die Schaffung einer zentralen Stelle für die Koordination, Mittelakquise, Konzeption und Umsetzung berlinweiter Leseförderaktionen, wie z.B. den Sommerleseclub o.ä. unter dezentraler Beteiligung der Bezirksbibliotheken und der ZLB
Darüber hinaus bietet die regelmäßige Zusammenarbeit mit weiterführenden Schulen die Chance, z.B. in Projekten das Interesse junger Menschen an den Informationsangeboten und Veranstaltungen der Bibliotheken zu wecken und kontinuierlich zu pflegen sowie junge Menschen für Berufe in den Bibliotheken zu interessieren. Dafür sind angemessene Personalkapazitäten, geeignete Räume und Veranstaltungsmittel erforderlich.
Schulbibliotheken
Es ist anzustreben, dass alle Berliner Schulen mit Schulbibliotheken ausgestattet sind, die grundlegende Standards der öffentlichen Bibliotheksarbeit erfüllen. Hierfür fehlen bisher wichtige Grundlagen.
In den Bezirken liegen für den Betrieb und die Unterstützung von Schulbibliotheken unterschiedliche Konzepte vor. Einige wenige Schulbibliotheken werden als Bibliotheken der jeweiligen bezirklichen Stadtbibliotheken geführt. In einzelnen Bezirken gibt es Fachberatungsstellen. Darüber hinaus werden Schulen mit Bibliotheksbussen versorgt.[65]
Um das hohe Potenzial, das Schulbibliotheken für die Lern- und Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen haben können, ausschöpfen zu können, bedarf es eines gesamtstädtischen Schulbibliothekskonzeptes. Grundlage für ein solches Schulbibliothekskonzept sollte ein von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie und der Senatsverwaltung für Kultur und Europa gemeinsam beauftragtes Gutachten sein.
Zudem sollte die Einrichtung von Schulbibliotheken in die Standards für den Neubau von Schulen (Berliner Schulbauoffensive)[66] aufgenommen werden. An Schulstandorten, für die ein Neu- oder Ausbau einer Schulbibliothek nicht möglich ist, sollten alternative Möglichkeiten einer regelmäßigen Versorgung der Schülerinnen und Schüler mit bibliothekarischen Angeboten geschaffen werden. In diesem Zusammenhang kann der Ausbau des Angebotes an Fahrbibliotheken eine wichtige Wirkung haben.
Die schulbibliothekarische Arbeit kann durch Mitwirkung von Freiwilligen, wie sie zum Beispiel die Bürgerstiftung Berlin e.V. leistet, unterstützt werden. Der für die professionelle Betreuung der Mitwirkung von Freiwilligen erforderliche Stellenbedarf an hauptamtlichem Fachpersonal muss bei den Planungen berücksichtigt werden.
Zusammenarbeit mit Wissenschaftlichen Bibliotheken
Die Berliner Bibliothekslandschaft zeichnet sich durch eine große Fülle unterschiedlicher Bibliothekstypen aus, die zum Teil hohe Organisations- und Spezialisierungsniveaus aufweisen, gleichzeitig aber auch zahlreiche Schnittstellen haben. Es fehlt derzeit jedoch an Austauschformaten, um übergreifende Handlungsfelder und Themen kooperativ zu bearbeiten. Solche Schnittmengen ergeben sich beispielhaft in den Arbeitsfeldern:
- gemeinsame Rechtsberatung (z.B. im Gesamtkomplex des Urheberrechts)
- bibliothekarische Erschließung (Metadaten und Metadatenmangement)
- Personalentwicklung (z.B. "Berliner Austauschprogramm" zur gegenseitigen Personalhospitation)
Neben den Formaten des institutionalisierten Wissensaustauschs und gemeinsamen Kompetenzaufbaus wurden im Zuge des Beteiligungsprozesses die folgenden Bereiche der Zusammenarbeit zwischen wissenschaftlichen und öffentlichen Bibliotheken identifiziert, von deren Entwicklung erhebliche Vorteile für die Nutzenden des Berliner Bibliothekssystems zu erwarten sind:
Gemeinsamer Nutzerausweis
Angesichts von geschätzt 800 Berliner Bibliotheken aller Größen und Fachrichtungen, die allerdings durch unterschiedliche Trägerschaften und somit jeweils eigenständigen Finanzierungen gekennzeichnet sind, ergibt sich die Notwendigkeit, zum einen den Überblick über die Bibliothekslandschaft herzustellen und zum anderen die Rollen der einzelnen Bibliotheken und ihre Aktivitäten zu klären. Ziel sollte es sein, die für die Nutzenden vorhandenen Grenzen zu überwinden und – z.B. mit Hilfe eines gemeinsamen Nutzerausweises – dem Publikum einen niedrigschwelligen Zugang zu eröffnen. Angesichts der absehbar nicht unbeträchtlichen Schwierigkeiten erscheint es erforderlich, in einer Projektstudie die rechtlichen, finanziellen und technischen Herausforderungen sowie Lösungsmöglichkeiten zu ermitteln.
Aufbau eines gemeinsamen Index der Wissenschaftlichen und Öffentlichen Bibliotheken zur Verbesserung der Nachweissituation
Auch mit Blick auf die gemeinsame Nachweissituation öffentlicher und wissenschaftlicher Bibliotheken wird noch Verbesserungspotenzial gesehen. So ist im Sinne der Nutzenden ein gemeinsamer Index eines Discovery-Systems, idealerweise beim KOBV angesiedelt, wünschenswert. Auch die gemeinsame Lizenzierung von E-Content im Rahmen des Friedrich-Althoff-Konsortiums (FAK) lässt sich mit Blick auf die Teilnahmemöglichkeit weiterer Bibliotheken aus den verschiedenen Bibliothekssparten an den verhandelten Lizenzen weiterdenken.
Citizen Science und Digital Literacy – Transparenz und Nutzung der Synergien des Gesamtangebots
Vor dem Hintergrund der von der International Federation of Library Associations and Institutions (IFLA) und anderen Institutionen geforderten Vermittlung von Digital Literacy durch die Bibliotheken als „digitale Lebensbegleiter“ erscheint ein abgestimmtes Konzept bzw. ein abgestimmtes Angebot der Berliner wissenschaftlichen und öffentlichen Bibliotheken erforderlich. Hierzu ist es notwendig, die Angebote nicht nur aufeinander zu beziehen, sondern vor allem transparent, überschaubar und zugänglich zu gestalten und als solche zu vermitteln, z.B. über ein gemeinsames Portal mit Buchungsmöglichkeiten. Zur Ermittlung der Angebote und der Möglichkeiten sowie der Aufwendungen zur Umsetzung einer Lösung im oben beschriebenen Sinne wird eine Pilotstudie empfohlen. Darüber hinaus sind Bibliotheken auch Produzenten – so können sie sich im Bereich der Citizen Science engagieren und aus ihren Beständen heraus Themen kreieren. Crowdsourcing–Plattformen können als Instrumente genutzt werden, um Publizität und Mitwirkung herzustellen.
Aufbau eines Kompetenzzentrums für Bestandserhaltung und Digitalisierung
Unter Beachtung bestehender Strukturen - Kompetenzzentrum Bestandserhaltung für Archive und Bibliotheken in Berlin und Brandenburg (KBE) und Forschungs- und Kompetenzzentrum Digitalisierung Berlin (digiS) – soll ein gemeinsames Kompetenzzentrum für Bestandserhaltung und Digitalisierung aufgebaut werden.
Professionelle Öffentlichkeitsarbeit und Marketing
Die professionelle Öffentlichkeitsarbeit und ein gezieltes Marketing der Bibliotheken sind sowohl auf Bezirksebene wie auch für das Gesamtsystem der Öffentlichen Bibliotheken Berlins wichtig, um die Kooperations- und Netzwerkarbeit zu stärken, die Vielfalt der Angebote zu kommunizieren und die Zahl der Nutzenden weiter zu erhöhen. Nur durch ein gemeinsames Auftreten nach außen kann der VÖBB gewinnen.
Die Öffentlichen Bibliotheken Berlins haben in der Berliner Bevölkerung ein sehr gutes Image.[67] Zudem bewerten die Nutzerinnen und Nutzer das Medienangebot sehr positiv[68]. Für die Gewinnung neuer Nutzenden-Gruppen ist jedoch ein gezielter Ausbau der sehr vielfältigen Angebote der Bibliotheken eine Grundvoraussetzung. Durch Veränderungen im Angebot rückt die Bibliothek als Ort stärker in den Vordergrund. Dies sollte in der zukünftigen Kommunikation aufgegriffen werden. Es geht darum, das Netz der VÖBB-Standorte zu verdeutlichen und Bibliotheken als fest in der Wahrnehmung der Berlinerinnen und Berliner verankerte, jederzeit aufsuchbare Orte des Wissens und der Kommunikation zu etablieren.
Die Erarbeitung eines professionellen Marketingkommunikationskonzepts und eine begleitende Umsetzung der darin beschriebenen Maßnahmen wird im Zusammenspiel mit den in den vergangenen Kapiteln dargestellten Entwicklungsnotwendigkeiten der Öffentlichen Bibliotheken Berlins als erforderlich erachtet. Hierfür sollte die Unterstützung durch eine professionelle Marketingagentur in Anspruch genommen werden.
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[64] Ramboll: Bevölkerungsbefragung zur Nutzung und den Einstellungen gegenüber öffentlichen Bibliotheken in Berlin und Hamburg, 2018, unveröffentlichte Präsentation.
[65] Abgeordnetenhaus Berlin, Schriftliche Anfrage vom 11.10.2018, Drs. 17/16696.
[66] Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie; Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen: Standards für den Neubau von Schulen - Berliner Schulbauoffensive, 2019.
[67] Vgl. Ramboll: Bevölkerungsbefragung zur Nutzung und den Einstellungen gegenüber öffentlichen Bibliotheken in Berlin und Hamburg, 2018, unveröffentlichte Präsentation.
[68] Demnach äußern sich 82% der befragten Nutzerinnen und Nutzer sehr zufrieden / zufrieden mit dem Medienangebot. Vgl. Ramboll: Nutzerbefragung im Verbund der Öffentlichen Bibliotheken Berlins, 2019, unveröffentlichte Präsentation.