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Rückbauplanung aktuell, Recht und Praxis

Die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt lud am 5.9.2023 in ihr Gebäude in der Brunnenstraße zum ersten Fachdialog „Rückbau mit System”. Die Veranstaltung richtete sich an Expert*innen aus der Bau-, Abfall- und Entsorgungsbranche sowie aus der Verwaltung. Die erste von insgesamt vier Veranstaltungen lud die rund 60 Teilnehmenden dazu ein, miteinander in den Austausch zu gehen. Im Fokus der Gespräche stand ein mögliches Rückbaukonzept sowie ein dazugehöriger Leitfaden, der Ende des Jahres 2023 von der Senatsverwaltung entwickelt wird.

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe erhalten die Teilnehmenden die Möglichkeit, diesen Leitfaden aktiv mitzugestalten, indem sie ihr Branchenwissen sowie ihre praktischen Erfahrungen beim Rückbau von Gebäuden oder deren Sanierungen einbringen.

Am 05.September 2023 begrüßte Dr. Benjamin Bongardt, Referatsleiter für Kreislaufwirtschaft, Ressourcenschonung, umweltfreundliche Beschaffung und Stadtsauberkeit, die Gäste. Anschließend wurden drei Impulsvorträge gehalten. Zunächst erfolgte die rechtliche Einordnung durch Dr. Jens Nusser, Anwalt und Partner bei Franßen & Nusser Rechtsanwälte. Die Anforderungen an Rückbaukonzepte aus Sicht des Recyclings und des Abbruchverbandes wurden durch Sandra Giern, Geschäftsführerin Technik beim Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft, und Ralf Pietsch, Geschäftsführer des Abbruchverband Nord, vorgestellt. Die Präsentationen zu den jeweiligen Vorträgen finden Sie hier zum Download.

Nach dem ersten fachlichen Einblick in das Thema waren die 60 Teilnehmenden eingeladen, im Rahmen eines World Cafés an einzelnen Workshop-Tischen zu arbeiten. Insgesamt gab es drei unterschiedliche Schwerpunktthemen. Nach einer 30-minütigen Arbeitsphase wechselten die Gäste zu einem weiteren Tisch und hatten so Gelegenheit in drei Runden alle Fragestellungen zu diskutieren. Die Ergebnisse sind im Folgenden kurz zusammengefasst.

 

Thema 1: Braucht es eine gesetzliche Regelung für ein Rückbaukonzept in Berlin oder kann ein freiwilliger Anreiz zum selektiven Rückbau geschaffen werden?

Die deutliche Mehrheit der Teilnehmenden war der Meinung, dass eine gesetzliche Regelung notwendig ist, da sich die bisherigen Anreizsysteme nicht bewährt haben. Der Vorteil einer gesetzlichen Regelung wurde auch darin gesehen, dass dadurch eine Verbindlichkeit und vor allem eine Vereinheitlichung gewährleistet werden kann. Hingegen wurde als problematisch betrachtet, dass die Einhaltung der Vorgaben überwacht werden muss und dass dies nur mit entsprechend geschultem und ausreichendem Personal gewährleistet werden kann. Zusätzlich zu einer gesetzlichen Regelung müssten für die Unternehmen wirtschaftliche Anreizsysteme geschaffen werden. Diese seien aktuell noch zu gering und der Arbeitsaufwand für den selektiven Rückbau zu hoch.

Ein wichtiges Thema war die Vergabe von (öffentlichen) Aufträgen. Dort könnte nach Meinung der Teilnehmenden durch ein rechtlich verbindliches Entsorgungskonzept im Rahmen der Vergabe der Schwerpunkt verschoben werden – von der reinen Wirtschaftlichkeit („günstigster Bieter“) hin zum Kriterium der Nachhaltigkeit.

Die Verpflichtung zur Erstellung der Rückbaukonzepte im Planungsprozess wurde kontrovers diskutiert. Ein Teil der Diskutant*innen schlug vor, das Konzept ordnungspolitisch unter § 82 Bauzustandsanzeige zu verankern. Die Teilnehmenden waren sich einig darin, die Genehmigungspflicht für alle Abrissmaßnahmen wieder einzuführen. Auf dem aktuellen Stand des Planungsrechtes waren viele der Meinung, dass im Rahmen einer Abrissgenehmigung ein Rückbaukonzept gefordert werden sollte. Eine Stimme schlug vor, dieses bereits bei der Planung des Neubaus zu verankern. So könne die Sortenreinheit und Menge der getrennt erfassten Abbruchabfälle beim späteren Rückbau gefördert werden.

 

Vorschläge zur Erarbeitung des Rückbaukonzepts

Die Teilnehmenden diskutierten konkrete Vorschläge zur Erarbeitung eines Rückbaukonzepts, etwa die Erstellung durch Ingenieur- und Planungsbüros. Auch der Wunsch nach praktischen, einheitlichen und niedrigschwelligen Umsetzungsmöglichkeiten des Konzepts sowie konkreter Wiederverwendungsmöglichkeiten wurde laut. Weiterhin müsse ein Rückbaukonzept mindestens bundesweit gelten, um wirksam zu sein. Es wurde zudem darüber gesprochen, dass das Rückbaukonzept ein Wiederverwendungskonzept der Bauteile und -materialien enthalten soll. Zudem diskutierten die Teilnehmenden, ob vergleichbare Anforderungen an die Entsorger gestellt werden sollten. Damit könnten Spezialisierungen ausgebaut werden.

Es wurden einige Hürden für die Wiederverwendung von Materialien (Re-Use) genannt, etwa, dass auch ältere Bauteile in dem aktuellen Baustandard integriert werden sollten. Die Gewährleistung hierfür müsse gegeben sein. Hingewiesen wurde auf einen fehlenden Markt für Re-Use-Bauteile, fehlende Quoten für Recyklateinsatz (Orientierung an Schweizer Rechtslage) und das allgemeine Problemfeld Verbundstoffe. Weiterhin merkten die Teilnehmenden an, dass alternative Verwertungsmöglichkeiten neben der Deponierung (Abfallrecht) und Verfüllung (Bergrecht) am Wirtschaftlichkeitsargument scheiterten.

 

Thema 2: Welche Sekundärrohstoffe sind aus Ihrer Branchensicht am relevantesten und was sind die Kriterien dafür? Welche Erfahrungen haben Sie mit der Weiter- bzw. Wiederverwendung von Baumaterialien?

Die Teilnehmenden benannten Beton, Ziegel, Gips, Metalle, Stahl, Aushubmaterial, Dämmstoffe, Deckenplatten, Styropor (sortenrein), Styrodur (schadstofffreies) und andere Bauteile, wie Fenster, Türen, Fußbodensysteme, mit der größten Relevanz für eine Weiter- bzw. Wiederverwendung. Diese Relevanz ergibt sich vor allem aus der anfallenden Menge, aber auch durch einen geringen Schadstoffanteil und gute Wiederverwendbarkeit. Ebenfalls eine große Relevanz, aber nicht uneingeschränkt vorhanden beziehungsweise nutzbar, sind Rezyklate aus der Bodenwäsche und TGA.

Zusätzlich dazu diskutierten die Teilnehmenden darüber, dass Schadstoffe im Rahmen des Rückbaus vor der Deponierung behandelt werden sollten. Es sollte eine Vorbereitung zur Verwertung der Baumaterialien durchgeführt werden, um die Schadstoffe abzutrennen und den Verwertungsgrad der Baumaterialien zu erhöhen.

So wurde etwa Holz als sehr relevanter Sekundärrohstoff benannt, dessen Verwertungsmöglichkeiten jedoch eingeschränkt sind. Die AltholzV lässt aktuell meist nur die Verwendung in Spanplatten oder die thermische Verwertung zu. Insbesondere die Möglichkeit zur thermischen Verwertung führe häufig bei werthaltigen Produkten wie Leimbinder aus Altholz zu keiner stofflichen Verwertung.

 

Thema 3: Welche Angaben muss ein Rückbaukonzept für den Abbruch eines Gebäudes enthalten und zu welchem Zeitpunkt soll es in die Planung/Ausführung eingebunden werden?

Viele Teilnehmende in dieser Gruppe waren sich einig, dass eine praxisbezogene und detaillierte Gliederung hilfreich sei. Nur wenige empfanden eine solche als zu starr und einschränkend. Von den Teilnehmenden wurde gewünscht, dass klare, grundlegende Rahmenbedingungen, wie der Grundsatz „Erhaltung statt Abbruch“, sowie eine gesicherte Finanzierung des Rückbaus bzw. des Erhaltens („Taxonomie“) im Rückbaukonzept verankert werden.

Weiterhin sollen allgemeine Standort- und Gebäudespezifika wie Altlasten und Schadstoffe, Kampfmittel, Artenschutz, bestehende Medien und eine ausführliche Baubeschreibung inkl. eines Gebäudeplanes sowie die Statik des Gebäudes im Rückbaukonzept berücksichtigt und beschrieben werden. Zusätzlich dazu wurde von den Teilnehmenden gefordert, dass auf die nachbarschaftliche Situation eingegangen und Hinweisen auf mögliche auftretende Emissionen Rechenschaft getragen wird.

Große Einigkeit herrschte bei dem Thema der Schadstoffe: Eine Erfassung der Schadstoffe in Form eines Schadstoffkatasters müsse zwingend Teil eines Rückbaukonzepts sein.

Im Wesentlichen waren sich die Teilnehmenden einig, dass ein Rückbaukonzept die Materialien und Bauteile erfassen muss. Als wichtig wurde angesehen, dass die Materialkategorien und die Beschaffenheit nach einheitlichen Kriterien/Bauteilklassen erfasst werden. Unabhängig davon, in welchen Kategorien die Materialien erfasst und beschrieben werden, sollten die im Folgenden dargestellten Informationen bauteilklassenweise im Rückbaukonzept enthalten sein:

  • Angaben zu Verbundstoffen, Einbauart etc.
  • Mengen, Maße
  • Zustand der Bauteile
  • Hersteller (falls bekannt)
  • Ausbaufähigkeit
  • Aufbauten der Bauteile

Bauteile, die wiederverwertbar sein können, sollten gekennzeichnet werden. Ob eine tatsächliche Wiederverwertung (Marktsituation, Ausbaufähigkeit, Lagerfähigkeiten etc.) erfolgreich sein kann, muss im Prozess geprüft werden.

Ein Rückbaukonzept solle auch die Rahmenbedingungen für die interne Logistik, wie Lagerkapazitäten, die Bereitstellungsflächen und die Transportmöglichkeiten sowie die externe Logistik, wie beispielsweise die Entsorgungslogistik (Transport), beschrieben sein.

Die Teilnehmenden wiesen darauf hin, dass die Anforderungen an die Vorgaben zur Rückbautechnologie vom Planungszeitpunkt und -vorhaben abhängig sind. Es wurde gefordert, die Art und Weise der Rückbauarbeiten nicht vorzuschreiben, sondern Rahmenbedingungen (Methodiken) festzulegen bzw. vorzugeben, um Einschränkungen des Wettbewerbs zu verhindern. Dennoch wurden Vorgaben der Rückbautechnologie gewünscht, um die Abbruchstatik des Rückbaus darauf auszurichten und emissionsmindernde Maßnahmen einplanen zu können. Die Vorgabe von Rückbaumethoden diene weiterhin einer frühzeitigen Kostenschätzung.

Ein Rückbaukonzept sollte mindestens die Rückbauart (maschinell/händisch), die Abbruchstatik („statisches Rückbaukonzept“) und den Verbau behandeln. Auch sollen eindeutige Angaben zur Wiederverwertung oder der Entsorgung/Verwertung enthalten sein. Hierbei sind Zertifikate und Garantien unabdingbar. Weiterhin muss die Wirtschaftlichkeit von Re-Use bedacht und Grundlagen müssen geschaffen werden. Dies kann beispielsweise dadurch ermöglicht werden, dass Neuanschaffungen weniger rentabel sind. Zusätzlich dazu gilt es, Re-Use-Plattformen ins Leben zu rufen.

 

Der richtige Zeitpunkt für ein Rückbaukonzept

Hinsichtlich des Zeitpunkts, zu dem das Rückbaukonzept in die Planung/Ausführung eingebunden werden soll, herrschte große Uneinigkeit. Einige sprachen sich dafür aus, dieses „möglichst früh“ aufzusetzen und andere dafür, es erst vor der Vergabe des Auftrags an die Rückbauunternehmer*innen zu implementieren. Insgesamt wurden unterschiedliche Zeitpunkte – vom Beginn der Planung (Machbarkeitsstudie) bis zur Auftragsvergabe – als mögliche Termine für die Einbindung des Rückbaukonzepts aufgeführt.

Zusätzlich zu den diskutierten Themen war es den Teilnehmenden wichtig, die Verantwortlichkeit für die Erstellung des Rückbaukonzepts sowohl bei den Bauherr*innen als auch bei den Rückbauunternehmen zu wissen. Auch eine gemeinsame Verantwortung beider Gewerke wäre denkbar. Die Zuständigkeit hingegen, solle auf einer interdisziplinäreren Zusammenarbeit von Architekt*innen und Fachplaner*innen basieren. Einige Teilnehmenden äußerten Bedenken hinsichtlich der Verantwortlichkeit durch Planer*innen, da hier möglicherweise eine Praxisnähe fehle. Auch wäre es denkbar, dass die Bauherr*innen lediglich die zu erreichenden Ziele vorgeben. Einige weitere vertraten die Position, dass die Rückbauunternehmer*innen den Rückbauplan bzw. das -konzept erstellen sollten.

Wichtig war auch das Thema Neubau. Für einen Neubau ist kein Rückbaukonzept notwendig, sondern es bedarf vielmehr eines Materialpasses, der auch die Möglichkeiten des selektiven Rückbaus und die Wiederverwertung der Bauteile und -materialien berücksichtigen muss. In diesem Zusammenhang wurde auf die Betrachtung des Lebenszyklus der Bauteile abgehoben.

 

Branchenübergreifend relevant: das Rückbaukonzept

Insgesamt fanden in allen Gruppen rege Diskussionen statt. Bereits der Auftakt hat gezeigt, wie relevant ein Rückbaukonzept für die Branche ist und wie wichtig es ist, hierbei die praktischen Erfahrungen der Involvierten zu berücksichtigen. Auf den Ergebnissen der ersten Veranstaltung bauen die kommenden zwei auf. Ziel ist es, mit den Teilnehmenden immer tiefer in die Materie einzusteigen und ihre Expertise, Erwartungen und Wünsche bei der Erstellung des Leitfadens zu berücksichtigen.

Wir danken allen Teilnehmenden für den gezeigten Einsatz und die Bereitschaft, mit großem Interesse und Engagement den Prozess mitzugestalten. 

Der zweite Fachdialog findet am 9. November statt und dient ebenfalls der Mitgestaltung und Erarbeitung der wesentlichen Punkte des Leitfadens.