Stellungnahme der HOWOGE zur verkehrsplanerischen Machbarkeitsstudie im Ostseeviertel
Stand: 15.05.2024
Einführung
Die HOWOGE Wohnungsbaugesellschaft mbH hält, bewirtschaftet, modernisiert und entwickelt rund 17.400 Wohnungen in Neu-Hohenschönhausen und davon knapp 7.000 im Ostseeviertel. Sie ist damit die größte Vermieterin im Planungsgebiet. Sowohl im Bestand als auch im Neubau gilt für die Teams der HOWOGE: bezahlbarer Wohnraum sowie nachhaltige und lebenswerte Quartiere für alle Generationen!
Das Quartier ist eine wichtige Handlungsebene zur Entwicklung und Gestaltung von lebenswerten Kiezen. Dabei werden nicht nur Wohnungsneubauten und Gewerbeeinheiten errichtet - in der Nachhaltigkeitsstrategie der HOWOGE ist verankert, Quartiere ganzheitlich als zukunftsfähige Lebensorte zu entwickeln. Das bedeutet auch, das nachbarschaftliche Umfeld sowie Möglichkeiten der Erreichbarkeit und lokalen Versorgung mitzudenken und zu planen.
Für die verkehrsplanerische Machbarkeitsstudie im Ostseeviertel teilen unsere Abteilungen Neubau im Quartier (NiQ) und Mobilität ihre Expertise, Erfahrungen und Vorschläge. Im Folgenden gehen wir auf die Fokusräume Zingster Straße, den Bahnhof Wartenberg sowie das RIZ-Center, dessen Vorplatz und die Ribnitzer Straße ein. Die genannten Vorschläge sind Ideen aus der Praxis und Bausteine einer nachhaltigen Quartiersentwicklung. Sie sind jedoch keine Umsetzungsversprechen oder Beschreibungen laufender Projekte seitens der HOWOGE.
Wir betrachten die Schwerpunkte Mobilitätsangebot, Wohnumfeld und Aufenthaltsqualität, ergänzender Neubau im Quartier, Stadtteile der kurzen Wege sowie klimatische Resilienz integriert und übergeordnet für das gesamte Viertel. Wir untermauern unsere Vorschläge mit Referenzen zu umgesetzten Projekten, um deren Machbarkeit zu illustrieren und Impulse zur konkreten Umsetzung zu liefern.
Status Quo und Potentiale
„Der Mensch wird so, wie die Stadt ihn macht, und umgekehrt.“ (Mitscherlich, In: Die Unwirtlichkeit unserer Städte, 1965)
Neu-Hohenschönhausen im Bezirk Lichtenberg ist ein stark durchgrünter und familienfreundlicher Ortsteil. Gleichzeitig weist das Plangebiet Ostseeviertel überdimensionierte Stadträume und Verkehrsflächen und dabei einen hohen Grad der Versieglung auf. Die vorhandenen Naherholungs- und Infrastrukturpotentiale gilt es zu heben, zu qualifizieren und integrativ zu gestalten. Daher schlagen wir insbesondere vor, die verkehrsplanerischen Maßnahmen auch über das Ostseeviertel hinaus in Verbindung mit dem gesamten Stadtteil Neu-Hohenschönhausen zu denken.
Thematisch verstehen wir als primäres Ziel für das Planungsgebiet, einen urbanen Raum zu etablieren, der Menschen versorgt, bewegt, inspiriert und bildet. Übergeordnet bedeutet das: Den Anwohnenden die Zingster Straße zurückgeben.
Fokusraum: Zingster Straße
Die Zingster Straße als dominante Verkehrsachse haben wir für eine nachhaltige verkehrsplanerische Umgestaltung des Ostseeviertels intensiv betrachtet: Die Vielzahl an Parkplätzen ist aufgrund der Entfernung zu den Hauseingängen nicht ausgeschöpft. Ihre unprogrammierte Weitläufigkeit und fehlende Attraktivität machen die Zingster Straße zu einem unbelebten Ort mit viel ungenutztem Potential. Die großen Verkehrsraumflächen des 100m breiten Stadtraums gilt es zu qualifizieren, z. B. durch Entsieglung, grüne Wegeverbindungen und fahrradfreundliche Infrastruktur. Dazu kann z. B. ein ausgebauter Fahrradweg mit zwei gegenläufigen Spuren und Schutzstreifen zählen. Dadurch würde auch die Verbindung mit der Malchower Aue gestärkt. Den Bedarf einer Fahrradschnellstraße sehen wir an dieser Stelle nicht.
Die Straße weist großes Potential für ergänzenden Neubau auf, um damit eine ausgewogenere Mischnutzung und die Belebung des Quartiers zu fördern. Neue Verweilorte und die Entwicklung von attraktiven EG-Zonen wirken auf die Schaffung einer kleinteiligen und abwechslungsreichen Gestaltung des Ostseeviertels hin. Inspiration liefert die Umgestaltung der Potsdamer Großwohnsiedlung Drewitz zur „Gartenstadt Drewitz“ (Referenz).
Wir schlagen für die Zingster Straße vor, mittels sogenannter Attraktoren punktuell Akzente zu setzen. Diese Attraktoren sind identitätsstiftende Orte, Gebäude und/oder Nutzungen mit Strahlkraft über das Quartier hinaus. Beispiele dafür sind etwa der Skywalk in Marzahn, ein Galeriefenster oder qualifizierte Dachflächen mit Dachgärten oder auch stadträumlich markante Strukturen wie das großdimensionale Gebäudetor in Aarhus, Dänemark (Referenz). Durch Attraktoren gewinnt die monotone und monofunktionale Stadtstruktur, ergänzend zu dem Kino CineMotion am S-Bahnhof Hohenschönhausen und dem geplanten „Neuen Urbanen Zentrum“, neue Magnete, die zur Belebung und steigenden Bedeutung des Gebiets beitragen.
Fokusraum: S-Bahnhof Wartenberg
Die Durchquerung des S-Bahnhofs Wartenberg ist nicht barrierefrei und für die Fahrradnutzung ungenügend. Die Rampen sind nicht gut einsehbar und stellen ein Sicherheitsrisiko dar. Der Bahnhofsbereich generiert Angsträume, die es zu beseitigen gilt. Wir sehen große Chancen, den Bahnhofsausgang und -vorplatz zum Ostseeviertel zu qualifizieren und eine attraktive Verbindung zum RIZ-Center bzw. Linden Center sowie dem geplanten Urbanen Zentrum zu schaffen. Neue Angebote und niedrigschwellige Orte der Zusammenkunft steigern die Aufenthaltsqualität, es entstehen nachbarschaftsfördernde Begegnungsmöglichkeiten.
Für eine Verbesserung der Alltagsmobilität am Standort steht die HOWOGE bereits in Kontakt mit dem Senat und dem multimodalen Mobilitäts-Anbieter Jelbi (BVG) (Referenz). Der S-Bahnhof Wartenberg bietet einen strategischen Standort zur Errichtung einer solchen Mobilitätsstation (Mobility Hub). Auch über den Bahnhof hinaus ist es erstrebenswert, ein Netz aus Jelbi-Standorten auszubauen, um ein flächendeckendes Angebot sicherzustellen. Des Weiteren steigern witterungs- und vandalismussichere Abstellanlagen für das private Fahrrad die schnelle und umweltfreundliche Erreichbarkeit des ÖPNV-Angebots. Diese können insbesondere am S-Bahnhof Wartenberg installiert werden. Ein Positivbeispiel liefern die 64 Fahrradboxen am Rathaus Schöneberg als Zusatzangebot an der U-Bahnlinie 4 und den Haltepunkten des Busnetzes um den J.-F.-Kennedy-Platz (Referenz).
Ein weiterer Ansatz für die zukünftige Mobilität in Neu-Hohenschönhausen bzw. im gesamten Berliner Norden ist die Entwicklung eines urbanen Seilbahnsystems, wie es etwa in Bonn in Planung ist. Denkbar ist eine Seilbahn-Tangente, die ab dem S-Bahnhof Wartenberg oder dem Bahnhof Hohenschönhausen nach Blankenburg und Französisch Buchholz (Elisabeth-Aue) führt und diese verbindet. Sie könnte weiter reichen bis ins Märkische Viertel, zur Urban Tech Republic (TXL) bzw. nach Spandau und Jungfernheide. Diese potenziellen Strecken sind als System, in Angebot, Bedarf und der Leistungsfähigkeit sowie in der Machbarkeit jeweils noch zu untersuchen.
Fokusraum: RIZ-Center, Vorplatz und Ribnitzer Straße
Das Gewerbe- und Einzelhandelszentrum RIZ an der Ribnitzer Straße ist ein wichtiger Nahversorgungspunkt für die Anwohnenden, der als Nachbarschaftsort gestärkt werden kann. Unser Vorschlag umfasst die Öffnung der südlichen Fassade. Gastronomische Einheiten sollten die Möglichkeit haben, Sitzgelegenheiten und Bestuhlung im Außenraum anzubieten. Damit steigen die äußere Attraktivität und Wahrnehmbarkeit des Centers. Durch differenzierte Bodenbeläge und -markierungen können die verschiedenen Nutzungen definiert und abgrenzt werden, ein neuer Zebrastreifen unterstützt die Verkehrsberuhigung und eine sichere Überquerung der Ribnitzer Straße. Darüber hinaus empfehlen wir die partielle Umnutzung der dortigen Stellplätze in Parkplätze für Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen sowie die Schaffung von Parklets mit Begrünung, die als Aufenthalts- und Begegnungsorte dienen. Die klimasensible (Um-) Gestaltung des urbanen Raums gewinnt an Dringlichkeit. Parklets mit einer intensiven Bepflanzung, z. B. flachwurzelnde Bäume, sorgen für Verschattung und verbessern die Luftqualität. Kleine und bewusste Maßnahmen wie solche können einen großen Nutzen für das Quartier bringen.
Der Vorplatz Ost und der Raum zwischen dem RIZ und der Bebauung der Wohnungsbaugenossenschaft an der Zingster Straße bergen großes Potential für einen neuen attraktiven Kiezplatz. Wir empfehlen, den Straßenverkehr der Zingster Straße auf Höhe der Ribnitzer Straße abzuschneiden und umzulenken. Die Querungsmöglichkeiten zum RIZ werden verbessert und bieten Raum für eine qualitative Belebung. Die Straßenbahn kann den Platz weiterhin queren, die Haltestellen sollten dabei ebenerdig zum Platz sein. Wir empfehlen, Schatten spendende Bäume und Bepflanzung, Sitzmöglichkeiten und z. B. ein vergleichsweise wartungsarmes Wasserspiel zu integrieren, welches stadträumlich so angeordnet ist, dass Anwohnende aller Altersklassen es sicher als Kommunikations- und Spielort nach dem Prinzip der „Berliner Plansche” nutzen können. Eine multifunktionale und integrative Entwicklung des Platzes ist anzustreben.
Ein Jelbi-Standort bietet sich auch auf dem Vorplatz an. Diese verkehrsplanerischen Maßnahmen zur Entwicklung eines Mobility Hubs stärken die Erreichbarkeit von ÖPNV, Wohnung sowie Arbeitsplatz und fördern die quartiersübergreifende Fortbewegung.
Der Fokusraum weist darüber hinaus Wohnungsbaupotential auf. So bietet sich die monofunktionale Struktur und flache Kubatur des RIZ für ein neues Wohnhochhaus an. Damit können einerseits ergänzende Wohnungsangebote für verschiedene Bedarfe geschaffen werden, andererseits erhöht sich die Kaufkraft, was den Einzelhandelsstandort oder potenziell eine zusätzliche medizinische und/oder kulturelle Versorgung stärkt. Als Beispiel für die Kombination aus Einzelhandel und Hochhaus dient der HOWOGE-Neubau am Falkenbogen (Referenz).
Um die Quartiere vom dominierenden Individualverkehr zu entlasten, kann eine Quartiersgarage zum Einsatz kommen. Wir haben das Dach des ansässigen Supermarkts hierfür als Potentialfläche für die Errichtung einer Quartiersgarage identifiziert. Die Konstruktion kann bei Bedarf statisch unabhängig errichtet werden.
Großwohnsiedlungen sind mit Blick auf die städtebaulichen Strukturen von einheitlichen Kubaturen und Großmaßstäblichkeit geprägt. Wir empfehlen daher, verstärkt Kleinteiligkeit zu etablieren. Sie zeichnet sich aus durch visuelle sowie haptische Abwechslung und menschliche Dimensionen im urbanen Raum. Kleinteiligkeit bedeutet auch Diversität im kommerziellen sowie nicht-kommerziellen Angebot zu schaffen und ermöglicht bei modularer architektonischer Umsetzung eine flexible Anpassung an sich ändernde Bedürfnisse. Inspiration für die Entwicklung einer kleinteiligen Stadtstruktur mit diversen Nutzungsmöglichkeiten liefert die Stadt Christchurch, Neuseeland (Referenz).
Verkehrs- und Freiräume ganzheitlich denken
Neu-Hohenschönhausen besteht aus „vier Kleeblättern", wovon eines das Ostseeviertel bildet. Das Neue Urbane Zentrum übernimmt eine übergeordnete Funktion als Mittel- und Ausgangspunkt zur Schaffung besserer Verbindungen in die Quartiere und zurück. Die erwähnten Mobility Hubs und Quartiersgaragen werden zu Knotenpunkten in dem jeweiligen Gebiet und ermöglichen eine Verkehrsentlastung in unmittelbarer Wohnortnähe. Uns ist bewusst, dass wohnortnahe Stellplätze mit kurzen Laufwegen insbesondere für die ältere Anwohnerschaft und Familien mit Kindern wichtig sind. Wir empfehlen eine bedarfsorientierte Analyse und Planung der Stellplatznutzung insbesondere mit einem Fokus auf die Arten der privaten oder geschäftlich abgestellten Kraftfahrzeuge. Die Vielzahl dienstlich genutzter Fahrzeuge stellen in Neu-Hohenschönhausen oftmals Probleme für Rettungsfahrzeuge dar. Nach entsprechender Fahrzeuggröße bieten sich passende Abstellanlagen mit Last-Mile-Angeboten („letzte Meile“) im gesamten Stadtteil an.
Im Falle einer zentralen Bündelung des ruhenden Verkehrs durch Mobility Hubs gilt es, die letzte Meile bis zur Haustür zu überbrücken. Qualifizierte innerquartierliche Fahrradverbindungen mit sicheren Abstellmöglichkeiten (siehe Fahrradboxen), Sharing-Angeboten (z. B. Roller und Lastenräder) sowie die Installation von Transportmöglichkeiten (z. B. Lastenrad und -wagen) tragen zur Lösung und notwendigen Transformation auf den Straßen bei. Auch die Integration eines autonom fahrenden Shuttle-Busses kann eine gute Lösung insbesondere für mobilitätseingeschränkte Personen sein. Wir möchten den Vorschlag machen, einen entsprechenden Pilotstandort, wie er bereits in Tegel mit dem „kleinen Gelben” existiert, für den Standort zu evaluieren (Referenz). Ein entsprechender Rufbus könnte entlang einer festgelegten Route als kiezinterner Shuttle in den vier Kleeblättern zirkulieren. Den S- und Regionalbahnhof Neu-Hohenschönhausen sollte dieser stets als zentralen Knotenpunkt anfahren.
Wir empfehlen, konkrete Entsieglungsflächen zu identifizieren und multikodierte Freiräume zu schaffen, die auf eine nachhaltige Mobilität, gesteigerte Aufenthaltsqualität und den Klima- bzw. Umweltschutz einzahlen. Zur Lösung trägt neben den obigen Ideen eine intelligente Anordnung von Parkplätzen wie etwa die Reorganisation von Längsparken zu Querparken bei. Damit werden die Flächen des ruhenden Verkehrs gebündelt und die Breite der Verkehrsadern im Ostseeviertel ausgenutzt. Die Maßnahme empfiehlt sich in Verbindung mit der Einrichtung von Einbahnstraßen, die ebenfalls ein Konzentrieren der parkenden Verkehrsmittel fördert. Im Zuge der Umgestaltung können Parklets vor jedem Hauseingang mitgedacht werden.
Des Weiteren fordert das weitläufige und inkonsistente Fußwegenetz gesteigerte Aufmerksamkeit. Qualifizierte, sichere, grüne und kurzweilige Wegeverbindungen verbessern den Bewegungsradius der Anwohnenden und die positive Wahrnehmung des Quartiers. Die Abhängigkeit vom motorisierten Verkehr sinkt und schutzbedürftige Personengruppen wie Kinder gewinnen an (Bewegungs-) Freiheit.
Nachfrage und eine verstärkte Nutzung entstehen oft dann, wenn ein passendes Angebot geschaffen wird. Der aktuelle Mangel an definierten Mobilitätsangeboten verhindert den Modalitätsumstieg, dem mit mutigem und zukunftsgerichtetem Handeln begegnet werden kann.
Mit besten Grüßen
Die Teams der Quartiersentwicklung der HOWOGE Wohnungsbaugesellschaft mbH