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Karl-Heinrich-Ulrichs-Platz

rafa79bln bearbeitet am

Die Grundlagen, dass sich 1969 eine Schwulenbewegung in den USA gründen konnte, wurden in Deutschland, in Berlin gelegt. Wesentlich durch Karl Heinrich Ulrichs und Magnus Hirschfeld. Ulrichs, der 1867, als erster Mann der modernen Geschichte, öffentlich zu seiner sexuellen Neigung bekannt hatte und dadurch zum ersten öffentlichen Kämpfer für die juristische und gesellschaftliche Emanzipation der Homosexuellen wurde. Ulrichs lebte 1846/1847 in Berlin, eine Zeit die besonders prägte.

Details:

Im  Königreich Hannover wurde 1825 in Aurich in Ostfriesland Karl Heinrich Ulrichs geboren. Sein Vater verstarb früh, so zog mit der Mutter in die Region Hannover. Er wuchs im Bildungsbürgertum auf und wurde von früher Kindheit von seiner konservativen , lutherischen Familie auf ein Universitätsstudium und eine Laufbahn als Beamter vorbereitet.

Wir müssen uns noch einmal vorstellen, was dieser junge Mann empfand. Die Gesellschaft sah Sodomie als krankhaft, die Religion verurteile seine Neigung auf äußerte, der Staat verbot es quasi, es war fast unmöglich auf dem Land Gleichgesinnte geschweige denn Vorbilder zu finden. in dieser Zeit studierte er Jura an die Universität Göttingen und bemerkte seine eigene besondere Sexualität.

Er studierte auch 1846/47 ein Jahr lang in Berlin, dessen Ruf im sicher bekannt war und was vermutlich auch ein Grund der Wahl des Studienortes war. Die  Möglichkeit, sich in der 400.000 Menschen fassenden Großstadt Berlin freier zu entdecken, als im kleinstädtischen Göttingen mit rund 10.000 Einwohnern war verlockend.

Nach seiner Zeit in Berlin schloss er sein Studium erfolgreich ab und trat in den Hannoverschen Staatsdienst ein. Doch wurde seine Karriere schon 1854 zunichte gemacht, da der Staatsanwalt den Arbeitgeber, das Justizministerium, darüber informierte, dass „... der Gerichtsassessor Ulrichs mit anderen Männern widernatürliche Wollust betreibe.“

Aus Sicht der Rechtslage in Hannover hat Ulrichs gegen kein Gesetz verstoßen, da das hannoversche Strafgesetzbuch die gleichgeschlechtliche Liebe nicht kriminalisierte. Wohl gab es aber einen Paragraphen der widernatürliche Wollust und Erregung öffentlichen Ärgernisses verband und unter Strafe stellte.

Die Gerüchte über seine sittenwidrige private Lebensführung reichen fur disziplinarische Maßnahmen und seine Entlassung aus dem Staatsdienst wurde gefordert. Er kam dem zuvor und reichte seinen Rücktritt ein, ihm wurde aber ein offizielles Dienstzeugnis verweigert was seine Berufsaussichten stark einschränkte. Nun stand er fast 30jährig ohne Aussicht auf Beschäftigung da.

Ulrichs hatte viele Jahre versucht seine Gefühle zu verstehen. Mit großer Sorgfalt erkundete er seine Beweggründe und Sehnsüchte und studierte juristische sowie wissenschaftliche Schriften. In Tradition zum protestantischen Reformator Luther stellte Ulrichs die vorherrschenden Glaubenssätze in Frage und entwickelte eine Theorie seiner Eigenpersönlichkeit. Er war fest davon überzeugt, dass seine sexuelle Orientierung zu Männern angeboren war, somit von Gott gegeben und konnte daher von keinem Gesetz oder Sitte verboten werden.

Nun wurde Ulrichs Journalist und schrieb ab 1862 Artikel für die Allgemeine Zeitung, die vielleicht wichtigste Tageszeitung dieser Zeit aus Augsburg. Politisch stand er dem Ideal einer großdeutschen Nation mit einem vereinigten deutschen Staat nahe. Daher schloss er sich nationalen Literatur- und Kulturvereinen an, darunter dem Deutschen Juristentag, vor dem er später seinen Appell für eine Gesetzesreform vortragen sollte.

Er verfasste eine Reihe von Schriften zum gleichgeschlechtlichen Liebe und zu den Auswirkungen der verschiedenen deutschen Sodomiegesetze. Er verfasste Rundbriefe, auch an seine Familie. Er hatte das Bedürfnis sich seiner Familie zu erklären, dass es ihm Angeboren sei Männer zu lieben. In einem Brief schreibt er „Männer die Männer lieben, stellen ein drittes Geschlecht dar, gekennzeichnet durch eine feminine Natur, gefangen im physischen Körper eines Mannes.... Es sei ungerecht, wenn man von ihm erwarte, ein Leben im Zölibat zu führen. Sexuelle Befriedigung sei ein gottgegebenes Recht.“ Es ist bemerkenswert, wie Ulrichs Familie ihn niemals explizit verstieß oder ablehnte, trotz der für die damalige Zeit radikalen wie verstörenden Offenbarung über seine sexuellen Vorlieben.

Im April 1864 veröffentlicht er seine erste Schrift unter Pseudonym Numa Numantius. Er führt den Begriff „Urninge“ ein, abgeleitet vom griechischen Himmelsgott Uranus, der als alleiniger Erzeuger der Aphrodite die gleichgeschlechtliche Erotik symbolisiert. Damit gibt er Männern, die Männer lieben einen ersten identitätsstiftenden Namen. Das Wort Homosexueller/ Homosexualität gibt es noch nicht.

Kernthese seiner Schrift ist, die uranische Liebe ist angeboren oder naturgegeben, weder durch Krankheit noch durch willentliche Perversion verursacht, und also solche konnte eine Ausübung nicht kriminalisiert werden.

Seine  Veröffentlichungen zeigten ihre Erfolge, trotz oder vielleicht wegen Versuchen die Werke zu verbieten. Die Debatte über den juristischen Umgang mit gleichgeschlechtlichen Liebe war in Gang gebracht. Juristen, Ärzte und Wissenschaftler nahmen davon Notiz.

1866 besiegte Preußen im zweiten deutschen Einigungskrieg Österreich und sicherte den Sieg über Österreich 1867 im Norddeutschen Bund ab, ein Bund ohne Österreich, Bayern, Baden oder Württemberg. Die Aussicht auf eine baldige deutsche Einigung ließ auch den deutschen Juristentag zusammentreffen, denn das zukünftige vereinte Land benötigt auch einheitliche Gesezte, worüber dort diskutiert wurde. Der Juristentag war die Bühne für sein öffentliches Outing, raus aus dem Pseudonym, um Straffreiheit und gesellschaftlicher Akzeptanz zu fordern.

Es ist der 29. August 1867, er ist 42 Jahre alt und hatte am Tag zuvor Geburtstag. Kurz vor seine Rede denkt er „Noch ist es Zeit, Numa, zu Schweigen. Auf das bereits erbetene Wort brauchst du nur ganz kurz zu verzichten. Dann hat all dein Herzklopfen ein Ende. Doch die „Naturgenossen“, Ihr Vertraut auf mich, sollte ichs denn erwidern mit Feigheit?“ Und er erinnerte sich an einen verzweifelten Kameraden der Selbstmord beging und geht auf die Bühne.

Er beginnt seine Rede aber erntet lauten Protest, er bricht die Rede ab, fährt dann doch fort, aber er wird seine Rede nicht zu Ende führen, da er weiter oft durch Protestschreieunterbrochen wird. Ulrichs Forderungen werden nicht vom Juristentag unterstützt. Doch das weltweit erste öffentliche Outing ist vollbracht, der Samen ist gesät, das Wort ist draußen, der Diskurs ist angestoßen.

Da Preußen die deutsche Einigung anführte, beeinflusste es mit seinem Strafgesetzbuch auch das bald, 1871 gründende deutsche Reich. 1868 beauftragt Bismarck ein Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund vorzubereiten, woraufhin eine Kommissionbeauftragt wird, unter anderem die Sodomiegesetze zu beurteilen. Im März 1869 legt die Kommission ein Gutachten vor, in dem sie sich gegen Sodomiegesetze aussprechen.

Die Berliner  Öffentlichkeit im Jahre 1869 ist jedoch beeinflusst durch zwei Verbrechen mit Bezug zu Homosexualität.  Der Mord im Invalidenpark an einem vergewaltigen und verstümmelten Bäckerlehrling (1867)und  ein schlimmer Missbrauch eines kleinen Jungen durch einen Mann (1869), die beide in den Boulevardblättern oft thematisiert werden. Die Öffentlichkeit kann Homosexuelle, Pädophile, Sexualstraftäter und Sadisten nicht auseinanderhalten.

Die Regierenden setzen sich über die Empfehlung der Kommission hinweg und nehmen den Sodomieparagrafen in das neue Strafgesetzbuch auf, mit Verweis auf das „Rechtsbewusstsein des Volkes“ und leider gemäß der Vorurteile des Volkes. Der Sodomieparagraph landet als Paragraph 175 im Gesetzbuch, und stellte sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe. Als im Januar 1871 die Gründung des deutschen Reiches  erfolgt, sorgt dies auch für die Übernahme des Paragraphen 175 in das Gesetz des deutschen Kaiserreiches..

1880 unternahm Ulrichs eine Reise nach Italien und sollte Zeit seines Lebens in Italien bleiben, wo er 1895 im Alter von 74 Jahren verstarb. Sein großes Ziel, die Sodomie-Gesetze zu verhindern, blieb ihm versagt, doch seine Theorien regten Wissenschaftler an zu forschenund halfen anderen ihre sexuellen Triebe zu verstehen. Er trug wesentlich dazu bei, dass eine Gemeinschaft gleichgesinnter homosexueller Menschen zu schaffen.

 

Referenznr.: 2023-16657