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Machbarkeitsstudie Straßenbahnverbindung

Der Nutzer Daniel Nie hat in seinen Kommentaren mehrfach (zu Recht) auf eine sehr interessante, von der Technischen Universität 2009 heraus gegebene Machbarkeitsstudie zur geplanten Straßenbahnverbindung hingewiesen (https://depositonce.tu-berlin.de/bitstream/11303/2521/1/Dokument_12.pdf).

Trotz erheblicher konzeptioneller und methodischer Mängel, ist die Studie lesenswert und enthält eine ganze Reihe interessanter Informationen.

Die Mängel werden von den Autoren zum einen so akzeptiert, wie z.B. die Begrenzung der Untersuchungen auf die Machbarkeit der Straßenbahnverbindung, unter weitestgehendem Ausschluss der Untersuchung von Alternativen (eben "Machbarkeitsstudie Straßenbahnverbindung").

Oder sie sind den Autoren zumindest bekannt. Z.B., dass in einer Reihe von Fällen grundlegende wissenschaftliche Prinzipien erheblich verletzt werden. "Um der Komplexität des Themas gerecht zu werden, hat die Machbarkeitsstudie keine rein verkehrswissenschaftliche Ausrichtung." (S.16)

Warum gerade ein komplexes Thema keiner wissenschaftlich exakten Betrachtung unterzogen wird (und nichts anderes besagt dieser Satz), will sich mir allerdings nicht erschließen. Für triviale Themen reicht der gesunde Menschenverstand (oder die Summe der bis zum 16. Lebensjahr angesammelten Vorurteile, wie Albert Einstein das nennt ;-). Das ist für die Arbeit einer Technischen Universität eigentlich beschämend (währe es jedenfalls zu meiner Zeit Ende der 1980er und in den 1990gern an der TU Magdeburg gewesen).

Eine Reihe grundlegender Thesen, auf denen nachher wesentlichen Ergebnisse der Studie aufbauen, werden weder belegt noch untersucht. Dies ist insbesondere deshalb besorgniserregend, da sämtliche Sponsoren der Studie (ggf. außer der TU selbst) ein entweder ideologisches (BUND, ProTramBerlin) oder wirtschaftliches (BVG, Senat: Stichwort Fördermittel EU/BRD) Interesse daran haben, dass diese Strecke unbedingt gebaut wird.

"Martin Schlegel und Tilo Schütz vom BUND Berlin stellten ihre Expertisen in den Bereichen nachhaltige Mobilität, Immissionen, Emissionen und Naturschutz zur Verfügung." (S.16). Experten mit ggf. alternativen Ansichten wurden offensichtlich nicht einbezogen.

Diese Mängel führen leider zu erheblichen methodischen Problemen. So werden z.B. ständig Äpfel mit Birnen verglichen:

  • Straßenbahn auf eigenem Gleisbett gegen im Individualverkehr mitfahrenden Linienbus.
  • Bei der Ökologiebilanz wird ignoriert, dass die Zeiten des mit fossilen Brennstoffen betriebenen Busses, bis zur Realisierung der Strecke längst vorbei sein dürften.
  • Im Bereich Schallemission wird von den Autoren postuliert, dass die Straßenbahn gegenüber dem Bus deutliche Vorteile besitzt. Nur um später einräumen zu müssen, dass dies nur unter ganz besonderen Bedingungen gilt, welche deutlich teurer zu realisieren und gerade an den kritischsten Stellen nicht umzusetzen sind. Was die Autoren aber nicht davon abhält im Weiteren auf ihrer Behauptung aufzubauen.

Andere Annahmen, die von den Autoren selbst als wesentliche Eckpfeiler für das Pro-Straßenbahn Ergebnis der Studie angesehen werden, lagen zum Zeitpunkt der Erstellung noch in der Zukunft.

Schon damals bekannt war, dass Alternativtrassen über die Französische Straße oder die Zimmerstraße, sowie Tunnel, etc. nicht sinnvoll sind (6.2., S.95).

Die einzig verbliebene Streckenführung war somit die Leiptziger Straße. Dabei erkennen die Autoren an: "Als eine Hauptroute in Berlin entwickelte sich rasch die Bundesstraße 1, die in der Innenstadt einen der wichtigsten Ost-West-Korridore darstellt." (6.1, S.92).

Geben dabei dann zu Bedenken: "Allerdings steht diese Entwicklung im Widerspruch zu der eigentlichen Verkehrsplanung von Seiten des Berliner Senats im Rahmen der Hauptstadtplanung. Danach sollte der Ausbau der Französischen Straße zur Entlastung der Leipziger Straße führen, so dass eine Integration einer Straßenbahn in den Straßenraum möglich würde. (vgl. Hasselmann 1999) Dieser Ausbau soll mit Baubeginn des letzten fehlenden Abschnittes zwischen Mauerstraße und Wilhelmstraße Ende 2008 vollendet werden (Hein 2008)."

Wer die Ecke kennt weiß, dass dieser Plan bis heute nicht wirklich umgesetzt wurde. Die Entlastung der Leipziger durch die Französische darf getrost als Nichtexistent eingestuft werden.

Für die Autoren hängt eine positives Nettoergebnis einer Straßenbahn über die einzig verbliebene Trassenalternative Leipziger Straße also von der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen ab, deren wichtigste wohl in absehbarer Zeit nicht erfüllt wird.

Die Liste der Voraussetzungen unter denen das Ergebnis der Autoren steht ist an dieser Stelle aber noch nicht zu Ende. Des Weiteren wird festgestellt:

  • "Im Gegensatz zu den in der Vergangenheit angefertigten Studien war zentrale Prämisse des Projektes entlang der gesamten Strecke einen besonderen Gleiskörper für die Straßenbahn zu realisieren. Ausschließlich auf einem besonderen Gleiskörper ist die Straßenbahn in der Lage ihren Systemvorteil voll auszuspielen." (S.98)

Der erste Punkt ist in den jetzigen Planungen so vorgesehen. Die Planer haben es selbst im engsten Bereich Charlottenstraße bis Leipziger Platz erreicht aus bisher 5 Spuren (2 jede Richtung plus geteilte Linksabbiegerspur), 4 KFZ Spuren und 2 abgetrennte Straßenbahnspuren heraus zu holen (S.103). Ich finde das wirklich beeindruckend!

Allerdings entfallen dabei die Linksabbiegespuren: "Allerdings können bei dieser Haltestellenform keine Linksabbiegemöglichkeiten für den MV längs der Straßenbahntrasse realisiert werden. Der MV muss somit eine Blockumfahrung vornehmen oder das Gebiet weiträumig umfahren. Dies ist angesichts der relativ geringen Zahl an Linksabbiegevorgängen zumutbar."

An dieser Stelle wären Fakten, statt Behauptungen wirklich essentiell (wie viele Abbieger, Auswirkungen, etc.). Blockumfahrungen sind nach den letzten Maßnahmen praktisch unmöglich und anwohnerbelastungstechnisch der GAU. Das Rechtsabbiegen in die Friedrichstraße blockiert schon jetzt nicht nur die Geradeausspur rechts und gefährdet regelmäßig die Fußgänger- und Fahrradfahrer-Massen, sondern ist für alles größer als ein Kleintransporter (also z.B. für Liefer- und Baustellenverkehr) praktisch unmöglich. Wer es trotzdem schafft (PKW oder LKW), bleibt spätestens in der Kronenstraße hängen, in der nicht einmal mehr zwei PKW sinnvoll aneinander vorbei kommen. Danach kommt dann die erneute Kreuzung der Leipziger Straße auf der Charlottenstraße ... und dann geht es erst richtig ins Wohngebiet.

So ein Plan kann nur in absoluter Ortsunkenntnis gedeihen! Die Wohnhäuser dort sind zur Leiptziger Straße hin mit exzellenten Schallschutzfenstern ausgestattet. Zur Krausenstraße hin liegen die Schlafzimmer, die bisher keine solche Fenster benötigen, da die Krausenstraße wenig befahren ist.

  • "Die in den 1990er Jahren angefertigten Studien und Untersuchungen, gingen von einer gleich bleibenden oder steigenden DTV auf der B1 aus. Diese Annahme wird in dieser Studie in Frage gestellt." (S.98)
  • "Die Verlängerung der A100 vom AD Neukölln zum Treptower Park soll zu einer erheblichen Entlastung der Innenstadt vom Durchgangsverkehr führen (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung 99 VERKEHRSPROGNOSE KOSTENSCHÄTZUNG SOZIOÖKONOMIE NACHHALTIGKEIT FAZIT QUELLEN ANHANG 2003: 116-117)."

Diese optimistischen Theorien der Autoren und der Stadtverwaltung könnten jetzt überprüft werden.

Ein besonderes "Glanzstück" der Studie sind aber sämtliche ökonomischen Betrachtungen.

Das beginnt im Abschnitt 4.6 auf S.53, wo  die erheblichen Investitions- und Unterhaltskosten für das Streckennetz der Straßenbahn, bewusst komplett ignoriert werden. "Da die Infrastrukturkosten vom Land Berlin getragen werden, wird im Folgenden der Fokus auf die Kosten der Betriebsführung gelegt, um die Wirtschaftlichkeit aus Sicht des Betreibers zu untersuchen." (S.53)

Äh, sorry? Es gibt keine ökonomische Trennung zwischen der Stadt Berlin und der BVG (was in diesem Fall ansonsten auch ein riesiger Skandal wäre: Stadt bezahlt, BVG kassiert). Das sind ALLES unsere Steuergelder!

Auf Seite 55 wird dann alte Bustechnik mit modernster Straßenbahntechnik verglichen, was (unter besonderen Umständen) knapp zu Gunsten der Staßenbahn ausgeht.

Trotz dieser "Kunstgriffe" kommen die Autoren dann auf Seite 56 um folgenden Absatz nicht herum: "Es bleibt allerdings festzuhalten, dass durch die technologischen Fortschritte der vergangenen Jahre Großraumbusse (bspw. Doppelgelenkbusse) bei einer ähnlichen Fahrzeugkapazität deutlich betriebswirtschaftlich günstiger als Straßenbahnzüge betrieben werden können." Wohlgemerkt, trotz Nutzung des linke Tasche / rechte Tasche Tricks.

Richtig hanebüchen wird die Ökonomie dann im Kapitel 9. Wenn man damit durch ist, wundert einen die Finanzsituation der Stadt nicht mehr. Risiken werden zwar erwähnt (z.T. sogar quantitativ), bei folgenden Berechnungen dann aber konsequent ignoriert. Es gibt keinen Investitionskorridor, sondern immer nur den Best-Case. Von dem werden noch einmal 65% Fördermittel abgezogen. Diese wachsen ja bekanntlich auf Bäumen und kommen nicht etwa aus dem Säckle der Steuerzahler.

Wenn Sie so etwas als Unternehmer versuchen, sind Sie nicht nur Ruck-Zuck pleite, sondern haben auch gleich noch einen Sack voll Prozesse am Hals.

Das linke Tasche / rechte Tasche Prinzip (da es sich so bewährt hat) wird dann auch gleich noch einmal bei der Projektion der Einnahmeseite angewendet. Zwar ergeben die eigenen Untersuchungen, dass die phantastischen Fahrgastzahlen der neuen Stecke (auf denen dann die Wirtschaftlichkeitsberechnung beruht) im Wesentlich durch Umverlagerung von der U2 und der S1 stammen. Das ficht die Autoren aber nicht an. "Mit bis zu 148.000 Fahrgästen täglich wäre die M4 die mit Abstand am stärksten frequentierte Straßenbahnlinie Berlins – und damit auf dem Niveau einiger U-Bahnlinien der Stadt. Die über 85.000 zusätzlichen Beförderungsfälle täglich werden dabei nicht ausschließlich  durch netzinterne Verlagerungen erzielt, sondern auch durch „Umsteiger“ vom Pkw zum ÖPNV." (S.190)

Schade nur, dass die Autoren die Effekte auf andere Verkehrsarten gar nicht untersucht haben. Worauf die Studie an anderen Stellen mehrfach ausdrücklich hinweist.

Sicher, der Bau von Straßenbahnlinien hat nicht primär als Ziel für die Stadt Berlin als 100% Eigentümer der BVG Gewinn zu erzielen. Bei der klammen Finanzsituation der Stadt sollten alle Beteiligen aber ehrlich sich selbst und den Bürgern gegenüber bleiben. Was Berlin mit Sicherheit nicht braucht ist ein weiteres Millionengrab. Was wir brauchen ist "Most bang for the bug!" (frei: Größten Knall für den Euro)

Hierfür kann die Studie eine gute Diskussionsgrundlage sein, wenn aus meiner Sicht folgende Dinge parallel angegangen werden:

  • Beseitigung der konzeptionellen Mängel durch wissenschaftlich fundierte Betrachtung ALLER Alternativen.
  • Beseitigung der methodischen Mängel, unter Einbeziehung alternativer Experten, aktueller Erkenntnisse und Daten und absehbarer zukünftiger Entwicklungen.
  • Seriöse ökonomische Planung durch jemanden, der wirklich etwas davon versteht und sich nicht selbst in die leeren (linke und rechte) Taschen lügt.
  • Aufbau eines Testbetriebes, der auf der geplanten Trasse im abgetrennten Verkehrsraum, in Verbindung mit den anderen geplanten Maßnahmen, moderne Busse betreibt, so dass belastbare Zahlen für die Planung entstehen.

Wenn ich mir die Ergebnisse der Studie anschaue, würde es mich dann auch nicht überraschen, wenn sich der letzte Punkt bereit als optimale Lösung der Aufgabe bewährt, zumal dies ggf. auch noch zusätzlichen Verkehrsraum für Radfahrer bedeuten könnte. Für die gesparten Millionen findet die Senatsverwaltung sicher auch eine Verwendung.

Es wäre doch irgendwie schön, wenn wir künftigen Generationen nicht nur eine saubere und grüne Stadt hinterlassen, sondern auch eine in der sie die finanziellen Mittel haben ihre eigenen Vorstellungen von der Zukunft umzusetzen, anstatt immer nur die Folgen unserer z.T. peinlich amateurhaften Fehler der Vergangenheit ausbaden zu müssen.

Jörg Drechsler erstellt am
Referenznr.: 2019-04481

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