Zum Inhalt springen

Warum muss es eigentlich unbedingt eine Straßenbahn sein?

Sicherlich, Straßenbahnen haben Vorteile und sind eine Lösung. Aber ist eine Straßenbahn an dieser Stelle auch die beste Lösung? Straßenbahnen haben auch offensichtliche Nachteile. Und so etwas wie die Patent-Lösung für alle Lebenslagen gibt es nun einmal nicht.

Allein die paar Meter Schienen vor dem Bundesrat haben (nach Rechnungshof) was? 1.6 Millionen Euro gekostet?

Wie lange wird es (realistisch) dauern, bis in Berlin eine solche Strecke fertig ist? Legen wir den Erfolg anderer Projekte zu Grunde - irgendwas zwischen 5..15 Jahren?

Bis dahin dürfte (nur als Beispiel) weltweit jeder Linienbustyp voll elektrisch zu erwerben sein (Airbus bringt innerhalb der nächsten 10 Jahre elektrische Mittelstreckenflugzeuge heraus!). Zumal für Linienbusse der elektrische Betrieb ein viel einfacher zu lösendes Problem sein dürfte, als für den allgemeinen Individual-, ÖPNV-Überland- oder Güterverkehr (bekannte, vergleichsweise kurze Strecken und sichere Endpunkte). Mit dem Geld, das die Errichtung und der Unterhalt von Straßenbahnen und Trassen kostet, könnte die BVG es sich vielleicht sogar leisten Vorreiter in diesem Bereich zu werden? Zusammen mit den Berliner Unis, Airbus und Daimler ein Werk für Elektrobusse in Berlin errichten? Das wäre doch mal was!

Was mir bisher bei der Diskussion fehlt: Es gibt eben nicht nur den Normalbetrieb! Im Gegenteil, auf dem engen Stück zwischen Charlottenstraße und (zumindest) Mauerstraße, das ich direkt einsehen kann, ist der Außnahmezustand der Normalzustand. Die Aussage, dass dies im wesentlichen vom Individualverkehr verursacht wird, entspricht nicht meiner persönlichen Erfahrung.

- Was wird passieren, wenn die Straßenbahn auf diesem schmalen Teilstück eine Störung hat? - Was passiert, wenn die Trasse z.B. durch einen Unfall auf einer der Kreuzung blockiert ist (ist fast Tagesgeschäft)? - Was wenn die Leipziger für Veranstaltungen gesperrt wird? - Was wird mit den Touristenbussen, Lieferverkehr, etc. pp.?

Eine Straßenbahn ist extrem unflexibel. Da gibt es nicht mal eben eine Umleitung über eine Nebenstraße. Und ehrlich, besonders chic ist der Oberleitungsverhau auch nicht gerade.

Für Außenstehendende, die von Ost nach West und umgekehrt mal eben durch-radeln: Die Berliner Innenstadt ist auch, aber eben nicht nur ein Touristenmuseum oder ein Central Business District, wie leider zu viele deutsche, aber auch internationale Innenstädte, die dann nach Ladenschluss zur Wüste werden. Hier leben tatsächlich noch echte Berliner. Sogar freiwillig. Wir leben hier, weil uns unsere Stadt (zum größten Teil jedenfalls) so gefällt, wie sie ist.

Menschen sind verschieden und haben verschiedene Vorstellungen von Lebensqualität. "Und das ist auch gut so!" Mitte mag manchem zu laut sein, zu dreckig (Äh?) oder zu hektisch. Das ist O.K. Berlin ist divers. Es gibt für Jeden die passende Ecke, zentrumsnah oder am Rand, je nach Geschmack.

Eine vernünftige (ja auch Auto-) Verbindung durch die Innenstadt ist ein wertvolles Gut (wie man in vielen Metropolen sehen kann, die so etwas haben oder eben nicht). Es lohnt sich sicher darüber etwas intensiver nachzudenken, bevor man die letzte halbwegs funktionierende Ost-West-Verbindung Berlins auch noch zerstört.

Bitte liebe Gutmenschen: Eure Meinung ist eine Meinung. Nicht alles muss Gleich gemacht werden. Es gibt auch andere Vorstellungen von Lebensqualität und ein Recht darauf. So manche (wie immer natürlich gut gemeinte) Verbesserungsmaßnahme der letzten Jahrzehnte hat leider zu oft das Gegenteil bewirkt und unsere Lebensqualität in der Innenstadt nicht gerade verbessert.

Als Anwohner der Leipziger Straße, an der Kreuzung Friedrichstraße, also als unmittelbar Betroffener jedes positiven Ergebnisses, als auch jeder Fehlentscheidung, würde ich mir daher wünschen, dass (ausnahmsweise in Berlin) mal nicht ideologische Grabenkämpfe, sondern Pragmatismus und Mut zu zukunftsweisenden Lösungen siegen.

PS: Ich mag Autos, wirklich! Haben Sie z.B. mal versucht eine Waschmaschine mit dem Fahrrad zu transportieren oder von Berlin in ein Bremer Industriegebiet mit den Öffentlichen zu kommen? O.K., ich tausche nicht jede Woche meine Waschmaschine und ich muss auch nicht jede Woche nach Bremen. Daher besitzt ich auch seit mehr als 10 Jahren kein eigenes Auto mehr. Das hat aber nichts mit Ideologie zu tun, sondern mit Lebensumständen. Als Bewohner der Innenstadt habe ich die Auswahl zwischen einem reichhaltigem Angebot aus ÖPNV und Sharing-Diensten. Sollte ich mal ein Auto brauchen, gibt es (mindestens) 3 Vermietungen gleich um die Ecke. Ich habe also die Wahl. Das beste Werkzeug für die jeweilige Aufgabe.

Die Lebensumstände der Leute sind aber verschieden. Wenn ich so manchen Kommentar hier lese, dann haben das offensichtlich Einige vergessen. Leute, die ihre eigenen Wünsche und Vorstellungen als einzigen gültigen Maßstab anlegen und versuchen diese anderen aufzwingen (natürlich zum Wohle Alller, selbstverständlich!) nennt man (glaube ich) intolerant. Ich dachte eigentlich diesbezüglich wären wir Berliner besser.

Seit besser!

 

Jörg Drechsler erstellt am
Referenznr.: 2019-04445

Kommentare