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Unterrepräsentierte/Stille Gruppen und Gründe der Nicht-Beteiligung

2.1. Unterrepräsentierte/Stille Gruppen

Basierend auf soziodemografischen Faktoren wie Herkunft, Geschlecht, Alter oder Bildungsgrad sowie die Zugehörigkeit zu sozialen Milieus, kommt eine Studie des IPGs (Institut für partizipatives Gestalten) zur folgenden Kategorisierung stiller Gruppen:

„meist unterrepräsentiert sind Migrant**innen, Menschen unter 30 Jahren, Menschen mit geringer formaler Bildung, Bewohner**innen sogenannter sozialer Brennpunkte und Menschen mit psychischen oder physischen Beeinträchtigungen.“ (Rohr, Ehlert, Möller, Hörster, & Hoppe, 2017)

Da soziodemografische Faktoren Grundorientierungen nicht einbeziehen, verweist Thomas Kuder vom vhw (vhw – Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e. V.) darauf, dass soziale Milieus es ermöglichen, gesellschaftliche Vielfalt detaillierter darzustellen. (Orthmann, 2017)

Milieus werden über gemeinsame Werthaltungen und ähnliche Lebenswelten definiert. Die moderne Milieuforschung erleichtert den Umgang mit den zunehmend vielfältigeren Bedürfnissen individueller Menschen. „Denn Soziodemografische Zwillinge - Menschen gleichen Alters, ähnlicher sozialer Lage und gleicher Herkunftskultur, können völlig unterschiedliche Lebensentwürfe sowie Bedürfnisse haben“. (Orthmann, 2017)[1]

In die Analyse fließen Alltagseinstellungen zur Arbeit, zur Familie, zur Freizeit, zu Geld und Konsum ein. Die Sinus‐Milieus rücken den Menschen und sein gesamtes lebensweltliches Bezugssystem ganzheitlich ins Blickfeld. (Sinus Institut)

Im Kontext der Frage, wer sich eher nicht an Partizipationsverfahren beteiligt, fallen vor allem das Milieu der Prekären und der Konsumhedonisten auf. Die Prekären stellen die um Orientierung und Teilhabe bemühte Unterschicht dar. Sie sehen sich selbst als Benachteiligte der Gesellschaft und haben Zukunftsängste sowie den Wunsch nach Konsum, Prestige und Anerkennung. Sie bemühen sich mitzuhalten, haben Ausgrenzungserfahrungen gemacht, die zu Verbitterung und Ressentiments führen können. (Sinus Institut)

Das Milieu der Konsumhedonisten bezeichnet die spaß‐ und erlebnisorientierte moderne Unterschicht/untere Mitte, die ihr Leben im Hier und Jetzt lebt. Unbekümmertheit, Coolness sowie ein spontaner Konsumstil und die Orientierung an aktuellen Trends sind charakteristisch. (Sinus Institut)

 

[1] Allgemeine Informationen zur Milieuforschung befinden sich im Anhang

2.2. Gründe der Nicht-Beteiligung

Ein verbreiteter Grund der Nicht-Beteiligung sind bspw. abstrakte Themensetzungen bei Beteiligungsverfahren und Beteiligungsformate, die ausschließlich auf besser gebildete Menschen zugeschnitten sind. Sie zeichnen sich unter anderem durch eine komplizierte Sprache aus, die bereits in den Informationsmaterialien genutzt wird, dadurch wird sozial schlechter gestellten Bürger*innen bereits von vorne herein der Zugang zum Verfahren verwehrt und die einseitige Interessendurchsetzung der sozial besser Gestellten und Etablierten gefördert. Diese Sachverhalte lassen sich mit Befunden der vhw/Sinus – Trendstudie 2015 empirisch verdeutlichen. Eine Befragung zum generellen Interesse an der Bürgerbeteiligung ergab:

In sozial besser gestellten Milieus herrschte ein überdurchschnittlich großes Interesse an anspruchsvollen, moderierten Bürgerversammlungen, das einem unterdurchschnittlichem Interesse bei den sozial schlechter gestellten Milieus gegenüber stand. Diese Unzufriedenheit sozial schlechter gestellter Milieus mit Bürgerbeteiligungsverfahren geht mit dem Gefühl einher, sie seien in Bürgerveranstaltungen nicht willkommen und ihre Belange nicht von großem Interesse. Die konservativ-etablierte „Oberschicht“ ist mit der Bürgerbeteiligung zufrieden, während Menschen mit prekären Lebensbedingungen eher unzufrieden sind. Nur wenige der Liberal-Intellektuellen fühlten sich in Beteiligungsveranstaltungen nicht willkommen, entgegen dem Großteil der sozial schwächer gestellten Konsumhedonisten. Nicht zuletzt glauben über die Hälfte der meist jüngeren Konsumhedonisten und Menschen mit prekären Lebensbedingungen, dass sich niemand für ihre Belange interessiert. (Kuder, 2016)

Diese Ergebnisse bestätigen die Einschätzung des IPGs, dass vor allem jüngere, sozial schlechter Gestellte sowie Menschen mit Migrationshintergrund in der Bürgerbeteiligung unterdurchschnittlich vertreten sind und sich gegenüber den gesellschaftlich Etablierten benachteiligt fühlen. (Rohr, Ehlert, Möller, Hörster, & Hoppe, 2017)

Das IPG geht davon aus, dass niedrige Bildungsabschlüsse, ein geringes Einkommen, kulturelle Differenzen zum vorherrschenden Mainstream und besondere Teilhabebedürfnisse bedingt durch körperliche oder geistige Beeinträchtigungen die Beteiligungswahr-scheinlichkeit verringern. Dieser ressourcenbasierte Erklärungsansatz begründet Nicht-Beteiligung durch die mangelnde Ausstattung von Gruppen mit sozialem, ökonomischem und kulturellem Kapital.

Heruntergebrochen ergeben sich daraus drei Hauptgründe für Nicht-Beteiligung:

 

  1. Aufgrund fehlender Ressourcen (weil sie nicht können)
  2. Aufgrund mangelnden Interesses (weil sie nicht wollen, mangelndes politisches Interesse, fehlende Überzeugung etwas bewirken zu können)
  3. Aufgrund mangelnder Zugänge (weil sie nicht gefragt werden, es fehlt ihnen an Möglichkeiten oder Zugang zu politisch aktiven Menschen)

 

Armut, geringe Bildung und mangelnde soziale Integration bedeuten oft einen Mangel an Fähigkeiten sich zu artikulieren, zu organisieren, zu mobilisieren und durchzusetzen. Beteiligungshemmnisse auf verschiedenen Ebenen entstehen sowie Ohnmachtsgefühle und -erfahrungen, politisches Desinteresse, Apathie und Marginalisierung.

Ein weiterer Erklärungsansatz sieht kulturalistische Gründe im Vordergrund, da Beteiligungsverfahren in bestimmten Werte- und Normenkomplexen stattfinden, die der vorherrschenden gesellschaftlichen Gruppe entsprechen. (Rohr, Ehlert, Möller, Hörster, & Hoppe, 2017)

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